Volltext: Graf Stefan Tisza

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sei. Der Entwurf peitscht die alten Leidenschaften wieder auf, 
die Obstruktion bricht von neuem los, Apponyi stellt aus sei¬ 
nem Posten in der Regierungspartei seine nationalen Gegen¬ 
forderungen, die natürlich von oppositioneller Seite noch um 
etliches überboten werden. 
Da hält im Februar 1903, als die Erregung den Höchst¬ 
grad erreicht, Tisza seine große Rede für den Militärentwurf. 
Sie ist eine der wirksamsten von den vielen hundert Reden, 
die sein politisches Oeuvre bilden. Vor ihm plädierte Graf Julius 
Andrässy d. J. für den Entwurf, bezeichnete die Gro߬ 
machtstellung der Monarchie als eine Lebensfrage für Ungarn, 
und Tisza findet sich in der Lage, seinem späteren unversöhn¬ 
lichen Gegner restlos beizustimmen. Er beginnt mit der Be¬ 
teuerung, daß für fremde Ziele und fremde Interessen kein 
Heller votiert werden dürfe. Doch leugnet er, daß die gemein¬ 
same Armee eine solche Fremdinstitution sei, und bekennt 
sich trotz ihrer offensichtlichen Schwächen als ihr entschiede¬ 
ner Anhänger. Das ungarische Element soll in Hinkunft im 
Offizierskorps stärker vertreten sein. Die gemeinsame Armee 
werde an militärischer Kraft nur gewinnen, wenn die unga¬ 
rische Nation ihre ganze Tatkraft in sie investiere. Doch könne 
man die Entwicklung der Armee nicht von nationalen Forde¬ 
rungen abhängig machen. Sei es denn nicht im Interesse Un¬ 
garns, daß die Großmachtstellung der Monarchie unversehrt 
erhalten bleibe? Ergänzend bemerkt Tisza, daß ihm gewiß 
nicht eine Großmacht nach dem Muster des Frankreichs unter 
Napoleon III. vorschwebe. Die ungarische Nation könne ihr 
Fortbestehen nur sichern, wenn sie auf dem Balkan jede Kon¬ 
stellation verhindere, die dem Auftauchen eines großen Ein¬ 
heitsreiches an der Ostgrenze der Monarchie Vorschub leiste. 
Es gebe keinen verwegeneren Leichtsinn und keine größere 
Gefährdung der Nation, als „eine aktive Außenpolitik ohne 
entsprechende militärische Reserven“ zu betreiben. „Ich votiere 
den Gesetzentwurf“ — schließt Tisza — „erhobenen Hauptes, 
mit selbstbewußter Gewissensruhe, da es meine Überzeugung 
ist, hiemit meinem Vaterland einen Dienst zu erweisen.“ 
Doch scheint er seine Ermahnungen an taube Ohren gerich¬ 
tet zu haben. Auch in den folgenden Wochen wird rührig fort¬ 
obstruiert. Seit dem ersten Mai 1903 befindet sich das Land 
wieder im „Exlex“-Zustand. Die erregte Stimmung verpflanzt 
sich auch auf die Provinz, und Apponyi empfängt als Haus¬ 
präsident Abordnungen, die die selbständige ungarische Armee
	        
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