Volltext: Milde Beiträge zur Sitten- und Kunstgeschichte (1)

206 Sprachliche Eigentümlichkeiten der Vulgata. 
dabei den Forderungen des guten Geschmackes gebührende 
Rechnung trägt und so alle Bedingungen zu einer vorzüglichen 
Leistung erfüllt. F 
In dem engeren Kreise von Hieronymus' Freunden wurde 
seine Uebersetzung mit Begeisterung aufgenommen. Sonst aber 
fand sie erst nach dem Tode ihres Urhebers allmählich die ver— 
diente Würdigung. In der römischen Kirche wurden, wie die 
Briefe der Päpste beweisen, während des sechsten Jahrhunderts 
die alte und die neue Uebersetzung nebeneinander gebraucht. 
Gregorius der Große gibt in seiner Auslegung des Buches Job 
der neuen Uebersetzung vielfach den Vorzug. In Spanien wurde 
sie seit Bischof Leander (f 596) allein gebräuchlich. In Frank— 
reich war sie schon seit Cassiodor (562) allgemein geworden; 
in England wirkte der hl. Eucherius um 630 eifrig für ihren 
ausschließlichen Gebrauch. Doch beherrschte die Gewöhnung an 
den älteren Text vielfach die Abschreiber, und so kam manches, 
das der Itala angehörte, in die hieronymianische Uebersetzuüng 
hinein. Die Itala wurde in wissenschaftlichen Werken des früheren 
Mittelalters als Septuaginta in Latino noch oft herbeigezogen, 
aber schon seit dem achten oder neunten Jahrhundert nicht mehr 
abgeschrieben, und später wurden auch die vorhandenen Exem— 
plare immer mehr reskribiert, so daß die Itala für die von 
Hieronymus übersetzten Bücher jetzt nur bruchstückweise aus den 
Kommentaren dieses heiligen Lehrers, aus vergessenen Teilhand— 
schriften und aus Palimpsesten bekannt ist. Nur auf einem Ge— 
biete ist sie immer in Geltung geblieben und behauptet bis 
heute noch ihr Recht, und das ist die kirchliche Liturgie. Alles 
der Schrift Entnommene, was in der Kirche vom Chor ge— 
sungen und nicht bloß von einem Einzelnen verlesen wird, hat 
sich in der Form der Itala erhalten; dazu gehört im römischen 
Meßbuche Introitus, Gradual, Offertorium und Communio, im 
Brevier Antiphon und Responsorium. Vermutlich hätte hier die 
Anpassung neuer Worte an alte Gesangsweisen gar zu große 
Schwierigkeiten bereitet, insofern das Volk von jeher an dem 
Kirchengesange allgemein Anteil nahm. Dagegen find in der 
heiligen Messe die alttestamentlichen Episteln, im Chordienst die 
Lektionen aus der Uebersetzung des hl. Hieronymus. Für den 
Psalmengesang ist das Psalterium Gallicanum in Uebung ge— 
blieben; die Psalterübersetzung von Hieronymus hat nie eine 
andere als literarische Bedeutung gehabt. Die übrigen lateinischen 
diturgien zeigen von obiger Regel einige Abweichungen, welche 
auf die Verschiedenheit des Gebrauches zur Zeit ihrer Ent— 
stehung zurückzuführen sind. 
Auf Grund dieser geschichtlichen Darstellung können die 
sprachlichen Eigentümlichkeiten der Vulgata im allgemeinen als
	        
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