Volltext: Milde Beiträge zur Sitten- und Kunstgeschichte (1)

Sprachliche Eigentümlichkeiten der Vulgatfta. 1899 
setzung zurück, welche dem hl. Augustin, der die erwähnten 
Worte in Afrika niederschrieb, vermutlich bei seinem Aufenthalte 
in Italien bekannt geworden war. Da es aber auch dort ver— 
schiedene Uebertragungen gab, wie der hl. Ambrosius bezeugt, 
so kann Augustin nur eine in Italien bevorzugte, allgemein 
gebrauchte, offizielle Uebersetzung gemeint haben. Es ist kein 
Zweifel und läßt sich auch des Näheren beweisen, daß dies die 
gleiche Uebersetzung sei, welche um die nämliche Zeit zu Rom 
der hl. Hieronymus unter der Menge lateinischer Bibelüber— 
setzungen mit den Namen Vetus editio, Translatio vetus, Antiqua 
interpretatio, Vulgata éditio auszeichnet. 
Es sind von dieser Itala und überhaupt von altlateinischen, 
d. h. vor jener des hl. Hieronymus angefertigten lateinischen 
Uebersetzungen auch gegenwärtig noch die meisten Bücher und 
Teile der Heiligen Schrift, zum Teil mehrfach, in Manuskripten 
vorhanden und werden aus den OCodices rescripti usw. noch 
immer mehr entdeckt. Ihre Sprachform läßt sich ganz allgemein 
als Vulgärlatein erkennen. Es ist dies die alte roͤmische 
Volkssprache, welche zu der in Augustus' Zeitalter gebräuchlichen 
Schriftsprache, der sogenannten lingua urbana, sich genau wie 
unsere Dialekte zum Hochdeutschen verhielt, und welche jetzt im 
Romanischen und Italienischen fortlebt. Sie ward nicht bloß 
oom Pöbel gesprochen, sondern war zu Rom und noch mehr in 
den Provinzen bei jeder zwangslosen Konversation in Gebrauch; 
selbst Kaiser Augustus bediente sich im vertrauten Verkehre mit 
seinen Freunden der vulgären Ausdrücke mit Vorliebe. Ennius 
(F 169 v. Chr.) und Plautus (f 184 v. Chr.) brauchten die Volks— 
sprache noch schriftlich; später verschwand sie immer mehr aus 
der Literatur und ward nur mehr bei Aufschriften privater 
Natur, wie Grabschriften usw. angewandt. Im silbernen Zeit— 
alter erhielt sie wieder Einfluß auf die Schriftsprache, und noch 
später trugen die Abschreiber, welchen das Vulgärlatein geläufig 
war, manche Eigentümlichkeiten desselben in die klassischen Texte 
hinein. Die beste Quelle zur Erkenntnis des Vulgärlateins bleiben 
jedoch die Bibelübersetzungen. Dieselben waren für Leser bestimmt, 
welche vorzugsweise dem Volke angehörten, und trugen schon 
deswegen den sprachlichen Ausdruck, welcher diesem geläufig 
war. Außerdem wurden die ältesten lateinischen Versionen sicher 
von Ausländern verfaßt, die morgenländischer Bildung waren 
und das Lateinische ohne schulmäßige Bildung erlernt hatten. 
Eigentümlich ist schon die Orthographie dieser Uebersetzungen 
in den Handschriften, namentlich bei den Vokalen die Ver— 
wechssung von e und i, ae und e, o und u; uinis für venis, 
uidet für vidit; que für quae, porte, hodiae, faciaet; diabulüs, 
aduratur für adoratur; ferner Beibehaltung des ursprünglichen 
Lautes in der Zusammensetzung, dispargam, obaudire; bei den
	        
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