* Sprachliche Eigentümlichkeiten der Vulgata.
nicht mehr gesprochen wurde. Zwar behielt die zur Herrschaft
gekommene Sprache auf Palästinas Boden nicht mehr voll—
ständig den ursprünglichen Charakter, sondern nahm in Einzel—
heiten hebräische Färbung an; allein dem Wesen nach kam
jetzt unter den Juden diejenige Sprache wieder zur Geltung,
welche Abraham uranfänglich gesprochen hatte. Aus dieser
Sprache sind daher alle die Ausdrücke genommen, welche im
Neuen Testamente unübersetzt mitgeteilt werden: Matth. 27,
46*) HMel Meι Mι Gα9ανei (Vulg. Eli, Eli, lamma sabac-
thani), Marc. 5, 41 Ta)οα οο (Talitha cumi), 7, 34 Topœdo
(Ephphetha), Joh. 19, 13 ITaßον (Gabbatha)) Apg. 1, 19
AꝓSöααα. (Haceldama), 9, 36 Tobßbiö)α (Tabitha)) Röm. 8, 15
Appa Abba), 1 Cor. 16, 22 p0αν &8α (Marau Atha). Die
Juden selbst nannten diese Sprache, weil sie jenseits des Euphrat
ihre Heimat hatte, ebensogut die hebräische, wie seinerzeit
Abraham ein Hebräer genannt wurde. Sonst heißt sie allgemein
die chaldäische Sprache. Sie ist mit der syrischen Sprache
und einigen verwandten Dialekten ein Glied des aramäischen
Sprachzweiges und gehört wie die aramäischen Sprachen über—
haupt zu den am weitesten fortgeschrittenen des semitischen
Stammes. In ihr waren die Bücher Judith und Tobias
geschrieben, deren Urtexte noch im Besitze des heil. Hieronymus
waren, seither aber verloren gegangen sind. Die Stücke in
Daniel und Esdras, welche während und unmittelbar nach der
Gefangenschaft geschrieben wurden (Esdras 4, 8-6, 18; 7,
12-26; Daniel 2, 4-7, 28), sind gleichfalls chaldäisch ver—
faßt und (mit Jer. 10, 11) in dieser Sprache bis heute über—
liefert. Sonst ist uns aus vorchristlicher Zeit sehr wenig in
chaldäischer Sprache erhalten geblieben. Kurz vor Christi Geburt
beginnt jedoch fuͤr ein halbes Jahrtausend und länger eine
reiche Literatur von Uebersetzungen und Paraphrasen des
biblischen Textes, welche zum Gebrauche der chaldäisch redenden
Juden verfaßt wurden. Diese sind die ergiebigste Quelle zur
Kenntnis des Chaldäischen und zugleich ein zuverlässiges Mittel
zur Beurteilung der aramäischen Sprachform in der Bibel. Nach
derselben Reihenfolge nämlich, in welcher diese Schriften, die
sogenannten Targumim, verfaßt sind, nehmen sie auch an Rein—
heit und Einfachheit der Sprachform ab. Die älteste derselben,
das Targum Onkelos', steht an Einfachheit und Altertümlichkeit
der Sprachform gleichwohl dem biblischen Chaldaismus nach.
Dagegen zeigen die aramäischen Stücke in Daniel und Esdras,
wie es bei jüdischen Schriftstellern zu erwarten ist, einige
Besonderheiten des Hebräischen.
*) Sämtliche griechische Stellen des Neuen Testamentes werden hie
nach der Ausgabe von Brandscheid zitiert.