Volltext: Milde Beiträge zur Sitten- und Kunstgeschichte (1)

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Der gregorianische Kongreß in Rom. 
es müsse auch nicht überall eine peinliche Einheit herrschen. Ob 
alle Chöre tatsächlich nach der päpstlichen Instruktion singen 
werden, werde Sache der kirchlichen Ordnung sein, welche die 
Bischöfe zu überwachen haben; wir wenigstens wollen es uns 
vornehmen. Er habe einiges auf dem Herzen. Die Deutschen 
seien in Bezug auf den Stand der kirchenmusikgeschichtlichen 
Forschung derzeit zurückgeblieben. Man möge doch in Zeitschriften 
immer nur sagen, was wahr ist in Bezug auf Musikgeschichte. 
Man möge doch zugeben, daß der gregorianische Gesang wirklich 
auf Gregor zurückgeht und nicht vielleicht nur auf Guͤido voun 
Arezzo. Ich fühle mich, sagt Redner, verpflichtet, meine Landsleute 
aufzuklären, daß Pius X. Recht hatte, auf die Tradition zu 
verweisen. 
Auch ich meldete mich nun zum Worte. Nach dem — so 
lauteten beiläufig meine Worte — was wir gestern und heute 
hier gehört haben, könnte die Meinung entstehen, es bestände 
in deutschen Ländern mehr oder weniger allgemein eine Ab— 
neigung gegen einzelne Bestimmungen der päpstlichen Instruktion. 
Dies ist jedoch nicht der Fall. 
In Oesterreich, so auch in der Diözese Linz und in anderen, 
näher gelegenen Dibzesen, wird allerdings nicht viel Choral 
gesungen. Zum Teil erklärt sich das aus der Aufhebung vieler 
Klöster. Wir haben nicht viel Choraltradition. Der mehrstimmige 
Gesang, besonders auch im Stile Mozarts mit Instrumental— 
begleitung, herrscht vor. Dennoch haben wir den Choral immer 
sehr geschätzt. 
Namentlich der verdienstvolle Johann Habert (gestorben 
1896), der ja den Choral auch als Grundlageé für seine mehr— 
stimmigen Kompositionen verwendete, hat den lebhaften Wunsch 
ausgesprochen und begründet, es mögen Choralbücher heraus: 
gegeben werden, welche den künstlerischen und wissenschaftlichen 
Anforderungen mehr entsprechen, als jenes Graduale Romanum, 
das nach der medizeischen Ausgabe vor mehr als 30 Jahren 
neu herausgegeben und als authentisch erklärt worden ist. Unser 
P. De Santi stand selbst mit Habert in brieflicher Verbindung, 
wie ich aus der Korrespondenz weiß, welche ich durchlesen mußte, 
um die Biographie schreiben zu können, welche ich mir erlaubt 
habe, dem Komitee einzusenden. Und wenn P. De Santi gestern 
seinem Hochgefühle Ausdruck verliehen hat, daß dieser Kongreß 
gehalten, wird, nachdem der traditionelle Choral zum Siege 
geführt ist, so könnte ich gleichsam im Namen des verstorbenen 
Johann Habert das gleiche Hochgefühl aussprechen. 
Hierauf wurde die Sitzung geschlossen. 
Die zweite allgemeine Versammlung, welche jetzt im Festsaale 
folgte, brachte eine Reihe von weiteren interessanten Vorträgen.
	        
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