Volltext: Kreuzweg eines Kaisers

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keine hatte, wanderte ins Loch. Junge Leute mit Leder 
mützen rasten auf Lastautos durch die Straßen; sie beför 
derten Massen von Verdächtigen zur Hinrichtung. Es 
wurde in die Häuser eingedrungen; das Heim mußte mit 
Gesindel aller Art geteilt werden; man stand unter den 
Befehlen der Haussowjets. Vor den wenigen von der Re 
gierung offengehaltenen Läden stand man Schlange. Aber 
man erhielt nur schwer Lebensmittelkarten, und sie laute 
ten nur auf hundert Gramm Pferdefleisch jeden zweiten 
Tag, ein wenig Mais, Roggen oder Kleie. Milch, Wein, 
Bier und Benzin waren nicht zu haben. Die Fabriken stell 
ten die Arbeit ein. Ansammlungen waren strenge ver 
boten, aber wie in Rußland tauchten Rudel obdachloser 
Kinder auf, die bettelten und stahlen und bald alle Laster 
kennenlernten. Nur kommunistische Zeitungen erschienen; 
ihr Hauptinhalt waren Listen von Verdächtigen, „die aus 
gerottet werden müßten“, das heißt, die niedergeschossen 
werden mußten, sobald man ihrer ansichtig wurde. Eigene 
Komitees nahmen Denunziationen entgegen, die zumeist 
von Neid oder Rachsucht eingegeben waren. Es wurde 
anbefohlen, daß alle Gemäßigten als Geiseln auszuheben 
seien; im April hatte man ihrer 17.000. Wie ein franzö 
sischer Schriftsteller bemerkte: Diese luxuriöse, aristokra 
tische Hauptstadt glich jetzt einem Tollhaus in Pest 
zeiten. 
Kuns Hauptwidersacher waren die Sozialisten, die von 
Freiheit faselten, und die Extremisten, die Zügellosigkeit 
heischten. Er machte kurzen Prozeß mit beiden; er lehnte 
jede Volksvertretung, aber auch die Nationalisierung der 
Frauen ab und ließ eines Morgens in den Kellern des 
Batthyany-Palais (den berüchtigten Lenin-Kasernen) fünf 
unddreißig Sozialisten und elf Extremisten erschießen. 
Der ärgste Widerstand kam von den Extremisten in der 
Provinz, die nicht weniger übel daran war als die Haupt 
stadt. Die Revolution hatte die Bauern in den „Genuß
	        
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