Volltext: Kreuzweg eines Kaisers

16 
241 
faßt. Sie floh nach allen Richtungen auseinander und ließ 
zwei Tote und einunddreißig Verwundete auf dem Platze. 
Niemand war da, der die junge Republik verteidigt hätte. 
Der Türsteher allein vollbrachte das Werk. Im letzten 
Augenblicke warf dieser unbekannte Held die mächtigen 
Gittertore ins Schloß. 
Eine Herrschaft der Furcht begann. Das sozialdemokrati 
sche Organ „Arbeiter-Zeitung“ nannte das neue Öster 
reich die „Republik ohne Republikaner“. Die überzeugten 
Anhänger dieser Staatsform konnten an den Fingern bei 
der Hände gezählt werden. Die anderen zitterten ent 
weder um ihr Leben oder hofften, im Trüben fischen zu 
können. Die Mittelstandspresse schwieg, sie fürchtete sich 
vor Repressalien der Roten Garde, die in alle der Lauheit 
oder Opposition verdächtigen Ämter und Unternehmen 
eindrang. Die neue Armee wählte ihre Offiziere, diese 
nahmen Soldatenräte hin. Die furchtsamen Wiener ließen 
sich durch Hausdurchsuchungen und Plünderungen ein 
schüchtern. Soldaten wurden beim Kardinal einquartiert, 
angeblich zu seinem Schutze. Über hundert Offiziere 
schützten die Hofburg zur Enttäuschung aller, die sich auf 
Plünderungen Hoffnungen gemacht hatten. Mehrere Mo 
nate später drangen Rotgardisten ein, um nach Waffen 
zu suchen, die aber nicht gefunden wurden. Die kaiser 
lichen Stallungen wurden übernommen, die kostbaren 
Pferde billig an Kriegsgewinner verkauft. Im großen und 
ganzen litt Wien weniger, als befürchtet worden war. Der 
ganze Vandalismus konzentrierte sich auf die Zerstörung 
kaiserlicher Erinnerungen und Abzeichen. 
Die Archive wurden in der Hoffnung durchforscht, den 
Kaiser bloßstellende Dokumente zu finden. Ein heftiger 
Feldzug wurde gegen ihn geführt: er wurde um so leiden 
schaftlicher, je näher der Tag der Wahlen kam. Ihr Aus 
fall war vorherzusehen, denn niemand hatte die Energie, 
Widerstand zu leisten. Zwischen den Elementen der Ord
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.