Volltext: Kreuzweg eines Kaisers

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Tory-Demokrat. Immer auf die Gefühle der anderen 
Rücksicht nehmend, gestand er gewissenhaft all die Vor 
züge und Ehren zu, die der Adel als ein Vorrecht seines 
Blutes ansieht. Aber niemals erkannte er ein Vorrecht an, 
sich über Gesetze hinwegsetzen und in Zeiten der Not 
mehr essen zu dürfen als andere. Man „verdächtigte“ ihn, 
daß er die Ansicht eines Bauern lieber hörte als das 
Papageiengeplapper irgendeines Prinzen. Alter hat keinen 
Respekt vor der Jugend: es konnte nicht erwartet werden, 
daß sich greise Höflinge über das Erscheinen eines Mon 
archen freuten, dessen jugendlicher Enthusiasmus und 
Tätigkeitsdrang so gar nicht zu ihrer Art paßte. 
Sie wackelten mit den Häuptern, als er das strenge spa 
nische Zeremoniell seiner Vorfahren durchbrach. Er war 
so ziemlich der erste Habsburger, der sich eines Autos be 
diente. Auf seinem Tisch standen mehrere Telephone; er 
ließ sie sogar in seinem Hofzug installieren, um stets mit 
jedem Orte verbunden werden zu können. Er kannte ge 
nau die Lokomotiven und machte sich mit jeder neuen 
Technik vertraut. Er förderte die moderne Kunst und er 
klärte das damit, daß lebende Künstler ein höheres An 
recht auf unsere Unterstützung hätten als tote Meister. 
Sein gutes Herz äußerte sich auf eine Weise, die für Eng 
herzigkeit nichts übrig hatte. So benützte er jede Gelegen 
heit, um ein hartes Urteil zu mildern. Einmal war eine 
arme Bäuerin zu längerer Haft verurteilt worden, weil 
sie für ihre Hühner und Eier zu viel verlangt hatte. Sie 
wurde sogleich begnadigt, wobei der Kaiser ausrief: „War 
um höre ich nie von der Bestrafung eines großen Kriegs 
gewinners, warum immer nur von der Verfolgung armer 
Leute?“ 
Ein Todesurteil zu unterzeichnen, konnte er sich nur 
schwer entschließen. War es unvermeidlich, so bereitete 
ihm das eine bittere Stunde. Einmal brütete er lange über 
dem Fall einer mehrfachen Mörderin. Das Gericht hatte
	        
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