Volltext: Kreuzweg eines Kaisers

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nicht zum Herrscher erzogen worden, bedürfte ihrer Füh 
rung und Anleitung. Sie sollten bald eines Besseren be 
lehrt werden. 
Wie ich mich darzulegen bemüht habe, hat Kaiser Karl 
eine ausgezeichnete Erziehung genossen und vor allem 
selbst verstanden, sie zu nutzen. Mit seinem bewunde 
rungswürdigen Gedächtnis, seiner raschen Auffassung, 
seinem feinen Unterscheidungsvermögen hatte er sich das 
Wissen angeeignet, das aus Büchern gewonnen werden 
kann; mehr als aus Büchern hat er aber aus dem Umgang 
mit Menschen gelernt. Er hatte alle politischen Probleme 
studiert, manches unter der Anleitung seines Oheims Franz 
Ferdinand, jedoch ohne daß er sich dessen Unnachgiebigkeit 
und Rauheit angeeignet hätte. Er sprach fließend sieben 
Sprachen. Er hatte ein ruhiges Temperament, Geduld, 
Mut und Fleiß. Sein militärisches Talent hatte er auf vie 
len Schlachtfeldern bewiesen. Wenn er einen Fehler hatte, 
so war es der, daß er nicht leicht an die Schlechtigkeit der 
Menschen glaubte. 
Der Kaiser und die Kaiserin blieben nicht lange in Schön 
brunn. In dem großen Schloß war nicht genug Platz für 
sie. Franz Josephs Räume waren veraltet und vergilbt 
wie seine Diener. Höflinge erfüllten die meisten übrigen 
Gemächer. Für offizielle Empfänge war die Hofburg da. 
Fürs erste wurde das Kaiserhaus in Baden bei Wien be 
zogen, das noch beengter, aber sonst geeigneter war. Es 
war ein bescheidenes Haus in der Hauptstraße und hatte 
seine Geschichte. Bonapartes Marschall Soult hatte es in 
den Jahren 1805 und 1806 bewohnt, Napoleon selbst im 
Jahre 1809, seine Gemahlin Marie Luise 1814 und 1818. 
Talleyrand und Wellington waren hier zu Gaste ge 
wesen. 
In Baden empfing Kaiser Karl Menschen aller Stände — 
auch solche, die Franz Joseph zu empfangen gezögert 
hätte — Fabrikanten, Kaufleute und Arbeitervertreter.
	        
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