Volltext: Kreuzweg eines Kaisers

war aufgegangen und hatte zentrifugale Bestrebungen 
ausgelöst; die Bande der Gemeinsamkeit wurden als Fes 
seln empfunden. War die Lage hoffnungslos? Nein! Ein 
ähnliches Problem war in der Schweiz, im Britischen Welt 
reich und in den Vereinigten Staaten von Amerika gelöst 
worden. Die Lösung lag darin, daß man einen primären 
Patriotismus für das homogene Reich wachrief, bei dem 
die sekundäre Treue gegenüber den nationalen Idealen 
nicht zu kurz kommen mußte. 
Die Schweiz besteht aus Franzosen, Deutschen, Italienern 
und Rhätoromanen, doch jeder Bürger ist ein glühender 
Schweizer, der sein Leben einsetzen würde, um der Auf 
lösung der Eidgenossenschaft zu wehren. Ebenso hängen 
Schotten, Kanadier und Australier dem britischen Reiche 
an. Während des Krieges hörte ich Neuseeländer sagen: 
„Ich gehe heim“, wenn sie auf dem Weg nach Aldershot 
waren. Und die Vereinigten Staaten von Amerika sind 
nichts anderes als zu einer Nation gewordene Pflanzun 
gen; sie ziehen das ärgste Gesindel Europas an, verstehen 
es aber, es sich schon in einer Generation zu assimilieren. 
Warum sollte es der Staatskunst nicht gelingen, Österreich 
auf eine gesunde Grundlage zu stellen, indem der provin 
zielle Patriotismus in den Hintergrund verbannt wurde? 
Es wird mit Recht eingewandt werden, daß Deutsch 
land und Italien vor der Verschmelzung durch Preußen 
und Savoyen weit glücklicher waren, daß der Partikula 
rismus von Gerolstein, Parma, Coburg und der beiden 
Sizilien sowie all der Überbleibsel aus dem Mittelalter 
für die Menge einen Segen bedeutete, der den heutigen 
Riesenstaaten ganz unbekannt ist. Das möge jeder nach 
seinem eigenen politischen Credo entscheiden. Aber wenn 
ich die Länder an der mittleren Donau betrachte, wie sie 
heute sind, und ihre Krankheiten als Arzt beurteile, so 
muß ich sagen, daß man Österreich nicht hätte töten 
müssen, um es zu heilen.
	        
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