Volltext: Die Lebensbeschreibung Severins als kulturgeschichtliche Quelle (2 ; 1903)

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zu Gebet, Fasten und reichlichem Weinen an. Der Mönch Ursus soll 
durch Enthaltung der Speisen und Heulen und Wehklagen einem drohen 
den Unheil zuvorkommen 1 ). 
Beten und Weinen sind zumeist miteinander verbunden. In Küchel 
an der Salza fleht Severin mit den Presbytern und Diakonen zusammen 
„unter vielen Tränen, die Knie zu Boden gebeugt“ 2 ). Am Kranken 
lager der Frau, die zu Salzburg in den letzten Zügen lag, wirft er sich 
„unter einem Strome von Tränen zum Gebete nieder“ 3 ), und auch 
an der Bahre des Presbyters Silvinus in Quintanis „betete er unter 
vielen Tränen“ 4 ). Als ein Presbyter in der Passau gegenüberliegenden 
Innstadt den Mann Gottes aufforderte, er solle möglichst schnell wieder 
von dannen gehen, damit sich die Bürger ein wenig vom Fasten und 
Wachen erholen könnten, bricht Severin in ein heftiges Weinen aus 5 ). 
Wieder ein anderes Mal vollendet er in derselben Stadt sein Gebet 
„unter einem Strom von Tränen“ 6 ). Eugippius rühmt die „wunder 
bare Ausdauer im Gebet“, die sich der Mönch Bonosus erworben 
hat 7 ), und hebt hervor, daß Severin „fremde Irrtümer wie eigene be 
weinte“ 8 ). 
Jene Eigentümlichkeit des mittelalterlichen Menschen, zum 
Zeichen von Buße, Demut und Sündhaftigkeit möglichst häufig zu weinen, 
die als die Fähigkeit besonders gottbegnadigter Naturen galt und so recht 
der Ausdruck der religiösen Empfindsamkeit ist, tritt uns bei Severin 
und in seinem Mönchskreise deutlich genug entgegen und erscheint als 
eine untrennbare Begleiterin des Gebetes, ja fast schon als jene kon 
ventionelle Sitte späterer Zeiten 9 ). 
*) Cap. 38, 1: Venturae calamitati abstinentia ciborum et lamentis occurrere (p. 46, 13). 
2 ) Cap. 11, 3: itaque cum multa largissimis fletibus cum eis fixis genibus precaretur (p. 23, 4). 
3 ) Cap. 14, 3: tune sanctus Severinus fusis ilico lacrimis in oratione prostratus est (p. 26, 3). 
4 ) Cap. 16, 4: oravit fletu largissimo (p. 27, 29). 
5 ) Cap. 22, 3: perge, quaeso, sancte, perge, velociter, ut tuo discessu parumper a ieiuniis 
et vigiliis quiescamus (p. 32, 14). — Quo dicto vir dei lacrimis urguebatur ingentibus (ibid. 
p. 32, 16). 
6 ) Cap. 36, 1: prius ergo quam orationem effusis lacrimis terminaret (p. 44, 3). 
7 ) Cap. 35, 2: meruitque absque ullo fastidio mirabiliter in orationis effici iugitate continuus 
(P- 43, 17). 
8 ) Cap. 39, 2: aliena quasi propria errata deflens (p. 47, 10). 
9 ) Über „die Gnadengabe der Tränen“ vergl. Heinrich v. Eicken, Geschichte und System 
der mittelalterlichen Weltanschauung 1887 S. 318 f.
	        
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