Volltext: Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten

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der Atmosphäre, die von der Wärme und vom Winde in Bewegung gebracht 
und zersetzt wird, den warmen Glanz der Lichtstrahlen, die zwischen die tiefsten 
Schatten hineindringen, hat die reichste Palette nie farbiger geschildert als es 
hier die Nadel nur durch die kunstvolle Gegenüberstellung der starken Be 
leuchtungsgegensätze und durch die Zartheit der Übergänge vermocht hat. 
Die feine Durchbildung der Töne ist hier schon wesentlich durch ganz freie, 
in den Schatten eng gedrängte Arbeit der kalten Nadel und durch hauchartige 
Linienzeichnung in den hellen Teilen erreicht. Für jede Art der Form ist das 
System der Umrißbildung und der Schraffierung ein anderes, ein Reichtum, der 
jeder auch nur annähernden Charakterisierung der Technik durch Worte spottet. 
Wichtig ist, daß Rembrandt, besonders in den Landschaften den Grat, die in den 
rauhen Rändern der tief eingegrabenen Linienfurchen der Schneidenadel haftende 
Farbe, stark mitwirken läßt, obwohl dieser Effekt schon nach einer kleinen An 
zahl von Abdrücken verschwindet. Nur die Abzüge von den ersten Zuständen der 
Platten können deshalb als originale Arbeiten des Meisters angesehen werden. Die 
Platten sind, soweit sie sich erhalten hatten, später von geschickten Künstlern auf 
gearbeitet worden. Bei welchem Zustande der Platte Rembrandts Arbeit aufhört 
und die anderer beginnt, ist freilich in vielen Fällen äußerst schwer zu bestimmen, 
ebenso wie die Meinungen über die Authentizität vieler Blätter sehr geteilt sind. 
Auch aus anderen Darstellungskreisen bringt gerade dieses Jahrzehnt, die 
Zeit der vollen Reife und der equilibrierten Kraft des Künstlers, seine sorgfältigst 
ausgefuhrten Meisterwerke. Vor allem das sogenannte Hundertguldenblatt, 
Christus die Kranken heilend (B. 74), das man in das Jahr|id4p setzt. Es wird 
mit Recht als eines der Hauptwerke des Radierers Rembrandt angesehen und 
kann an Bedeutung und in seiner Stellung in der künstlerischen Entwicklung 
des Meisters am besten der „Nachtwache“ an die Seite gesetzt werden. Das 
„farbige Helldunkel“, das die Gemälde dieser Epoche charakterisiert, tritt auch 
in den Radierungen als herrschende Tendenz hervor. Auf äußere Kennzeichnung 
des Raumes verzichtet er nun fast ganz und komponiert nur durch die kunst 
volle Ausbreitung des Lichtstromes, der scharf von einer Seite einfallend in[das 
Dunkel des Raumes dringt und die einzelnen Gestalten in reizvollster Mannig 
faltigkeit nach ihrer Bedeutung hervortreten läßt. Geheimnisvoll unbestimmt 
bleibt die Quelle des Lichtes wie der Raum selber. Diese Phantastik versetzt 
den Beschauer in eine ernste, erwartungsvolle Stimmung und läßt ihn dem Vor 
gänge mit Sammlung folgen. Dann lösen sich aus dem Dunkel die einzelnen 
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