Volltext: Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten

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sogenannten Meisters der virgo inter virgines, eine ganz auffallende Verwandt 
schaft der Formbehandlung, besonders der Bewegungen und der Typen er 
kennen lassen (s. Abb.). Es scheint also, daß Zeichnungen oder Entwürfe dieses 
Malers von den Holzschneidern benutzt worden sind. Die künstlerischen Indi 
vidualitäten würden sich dann also in den Niederlanden sogar noch früher als 
in Deutschland an der Arbeit für die Buchillustration zu beteiligen begonnen 
haben. Weitere Werke dieses Zeichnungsstils begegnen uns in einer anderen, 
viel sorgfältiger, zarter und weicher geschnittenen Darstellungsreihe in Eckerts 
Ludolphus und in anderen Büchern z. B. in der von Snellaert 1483 in Delft 
gedruckten „Hystorie von die seven wise manen“. Vielleicht dürfen wir in 
diesen Holzschnitten schon eine holländische Variante des niederländischen Stils 
sehen. Die Unterscheidung zwischen flämischen und holländischen Arbeiten, die 
ja auch in der Malerei schwer ist, wird sich freilich für den Holzschnitt des 
XV. Jahrhunderts noch weniger durchfuhren lassen. Wie die Drucker scheinen 
auch die Holzschneider ihren Wohnsitz oft gewechselt und deshalb ihren Stil nicht 
zu lokaler Eigenart ausgebildet zu haben. Nach den neuesten Forschungen scheinen 
die Holländer wesentlich stärker an der künstlerischen Produktion im XV. Jahr 
hundert beteiligt gewesen zu sein als man bisher geglaubt hat. Die Künsder der 
ärmeren nördlichen Provinzen waren offenbar damals wie auch später wesentlich 
auf die Arbeit im Süden und in der Fremde (Lyon, Lübeck) angewiesen. 
Noch deutlicher als in jenen Bildern des Ludolphus kommen, wie es 
scheint, die spezifisch holländischen Elemente in den Formen und in der farbigen 
Wirkung derj Holzschnitte eines besonders hervorragenden Werkes, des „Che 
valier delibere“ von Olivier de la Marche, zur Geltung. Die erste Ausgabe 
dieses Buches, das in allegorisch-symbolischer Umkleidung die Lebensschicksale 
Karls des Kühnen erzählt, und das später das Vorbild für Kaiser Maximilians 
„Theuerdank“ geworden ist, erschien im Jahre 148b in Gouda bei Gottfried 
van Os; eine spätere Ausgabe wurde um 1500 in Schiedam gedruckt. Von 
beiden Ausgaben ist nur je ein unvollständiges Exemplar bekannt (s. Abb.). 
Die Umrißlinie wird hier je nach Licht und Schatten feiner oder stärker ge 
bildet und lebendiger bewegt, die Züge kurzer, gerader, horizontaler Schraf 
fierungen treten zurück vor den langen, modellierend sich rundenden, den 
einzelnen Formen folgenden Längsschraffierungen, die die tieferen Töne bilden. 
Man nähert sich damit dem Eindrücke der freien, mehr skizzenhaften Feder 
zeichnung. Vielleicht sind diese geistreichen und temperamentvollen, vortrefflich
	        
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