Volltext: Archäologie der Kunst [6, Hauptbd.] (Hauptb. / 1895)

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Klassische Kunstarchäologie, III. Angewandte Archäologie. 
Auge hatten. Als in Goethes Zeit die alte Kunst erneut werden sollte, 
kümmerte man sich wieder eher um die Bilder der Götter als um diese selbst, 
und auf diesem Wege kam ungewöhnlicherweise die Kunstmythologie vor 
der Wissenschaft der Mythologie als gesonderter Wissenszweig zustande, 
welchem Karl Böttiger 1808 diesen Namen gab. Durch das hohe Interesse 
des Gegenstandes und die Fülle der Denkmäler hat sie diese privilegierte 
Stellung bis jetzt behauptet, obgleich der Stoff an sich diese Scheidung nicht 
empfiehlt; denn wiewohl Herodot und andere Rationalisten des Altertums die 
Erfindung der persönlichen Götter den Dichtern zuschrieben, haben sie an 
die Künstler nicht gedacht, im Gegenteil herrscht die bei Pheidias’ Zeus 
ausgesprochene Anschauung, dass die Dichter den Künstlern das Götter 
bild vorgezeichnet haben. Aus der Geschichte des Wissenszweiges erklärt 
sich weiters der unhistorische Begriff des Götterideales, der von Winckel- 
mann herstammt. Aus den Statuen und Büsten der Kaiserzeit hatte man 
die Vorstellung einer feststehenden Physiognomik der Götter gezogen, ! ) 
von welcher nur Abweichungen zu notieren seien. Thatsächlich sind es 
höchstens einige wenige sehr allgemeine Eigenschaften, welche durch alle 
Zeitalter der Kunst hindurch den einzelnen Göttern anhaften. Für die 
Praxis mögen jene abstrakten Ideale bleiben, in der Wissenschaft aber 
kann die Kunstmythologie jetzt nur mehr das Ziel haben, die Vorstellungen 
der verschiedenen Zeitalter und Schulen von den Göttern historisch dar 
zustellen. Bis dieses Ziel erreicht ist, bedarf es noch vieler Untersuchungen, 
deren Resultate sich aus vielen Einzelheiten zusammensetzen werden. 
Wenn wir aber hier eine provisorische Schilderung der übermenschlichen 
Wesen geben wollen, so müssen wir dieselben mit Rücksicht auf die Sym 
bolik in zwei Gattungen sondern, erstens die eigentlichen Götter, deren 
ursprüngliche Bedeutung durch die Länge der Zeit verwischt ist — und 
den Archäologen glücklicherweise so wenig als die homerische Frage an 
geht —, zweitens die Personifikationen, ob sie in den Kultus aufgenommen 
sind oder nur ein Phantasieleben führen. Die eigentlichen Gottheiten 
aber müssen in der Archäologie genau wie in der Philologie von doppeltem 
Gesichtspunkte aus betrachtet werden; denn anders sind die Götter, welche 
das Herkommen einer einzelnen Stadtgemeinde gebildet hat, anders die 
Götter der gesamten Nation, deren Einheit die Dichter allmählich herbei 
geführt hatten und ihren Landsleuten fort und fort einprägten. Jene 
lokalen Kulte, z. B. der kretische des jugendlichen Zeus Velchanös mit 
dem Hahne, kamen durch Tempelbilder, Votivfiguren und -Reliefs, und 
besonders durch Münztypen zur Anschauung. Die panhellenischen Götter 
dagegen sind es, welche in der wirklichen Kunst ihr Leben führen. 
Manche Grundsätze der Götterbildung sind allen gemeinsam. Den 
Göttern kommt ideale Schönheit zu und darum richtet sich ihre Gestalt 
nach dem Schönheitsideale der jeweiligen Epoche. Sie haben reiches Haar, 
von Cesare Orlandi, Perugia 1764—67, 
5 Bde.; V. Cartari, imagini dei dei degli 
antiehi, Yen. 1571 u. ö. m. T. (latein. Leiden 
1581 u. ö.); andere ältere Litteratur verz. 
Catalogus biblioth. Buenavianae 2, 829 ff. 
B Ovid (met. 6, 72 ff.) nnd Petron. (carm. 
36) geben darüber einige Andeutungen; im 
allgemeinen s. Arnob. VI p. 197; Habitus 
vobis deos, non oris proprietas solet indicare.
	        
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