Volltext: Archäologie der Kunst [6, Hauptbd.] (Hauptb. / 1895)

Kap. IX. Die dritte hellenistische Periode: Königszeit. (§ 349.) 
707 
sind sonst weit weg oder haben keine Ohren oder existieren nicht oder 
achten nicht auf uns, dich aber sehen wir anwesend, nicht hölzern noch 
steinern, sondern leibhaftig.“ Auch die Götter sprechen nur an, wenn 
sie dem neuen Ideale gemäss in lebhaftester Bewegung sich befinden, 
und dies nicht bloss im Gigantenkampfe, sondern auch, wie die Münzen 
zeigen, als einzelne Figuren, 1 ) wozu noch die pathetischen Einzelköpfe 
in Dreiviertelsprofil mit mänadenhaft flatterndem Haar kommen. * 2 ) Solche 
genial wirre Haartracht gefällt überhaupt, zumal wenn die Spitzen der 
schwarzen Haare goldig schimmern. 3 ) Sonst sind die Olympier zu poe 
tischen Schattenbildern verflüchtigt. 4 ) Unter den Gemütsbewegungen 
drängen sich die emotions fortes vor. Der gewaltthätige Zug macht an 
der Grenze des Grässlichen nicht Halt; der Massenmord der Niobiden, 
der geschundene Marsyas 5 ) und Dirkes Schleifung (S. 681) kenn 
zeichnen den Geschmack. Vorbilder dazu lieferte den Künstlern die pein 
liche Gerichtsbarkeit; da konnten sie den zuckenden und durch die Haken 
und durchflochtenen Peitschen der Haut entkleideten Körper studieren. 6 ) 
Frauen und heranwachsenden Jünglingen würde man im Gegensätze zum 
Manne eine Überfülle von Kraft verargen; an jenen gefallen jungfräuliche 
Zartheit, gestreckte schlanke Gestalten, lange oft schwanenhafte Hälse, 
die sie kokett zu drehen verstehen, lange Extremitäten, etwas abschüssige 
Schultern, kurz gesagt die Ähnlichkeit mit Knaben. 7 ) Die Bewegungen 
sind graziös und zierlich; Nike fasst den Kranz mit zwei Fingern; 8 ) Münz 
bilder zeigen Athene auf den Zehenspitzen schreitend. Desgleichen sind 
die Stellungen elegant, aber ruhig, weshalb sie oft wiederkehren. 9 ) Den 
Scheitel des rotgefärbten Haares 10 ) schmückt oft eine Schleife, die fontange 
des Rokoko. 11 ) Binde und Kranz kommen zusammen vor. 12 ) Aber es ist 
merkwürdig, dass wir kunstvolle Frisuren der Königinnen sehen und einen 
Dichter die einfach aufgebundene improvisierte Frisur rühmen hören. 13 ) 
*) Münzen von Ptolemaios I. Brit. M. 
Ptol. T. I 2. 3. 5. 6. 8, Pyrrhos Brit. M. T. 
20, 11, Syrakus (Br. M. Italy S. 207. 222) 
und Lukanien; Nike von Samothrake: S. 678; 
Frau im Giebel von Samothrake: -Woltees 
1361; vgl. Livius 27, 16. 
2 ) Z. B. Hera auf Münzen von Hyria 
(Brit. Mus. Italy S. 92) und oskischen (das. 
128). 
3 ) Anacreontea 29, 3; 
4 ) Z. B. auf Ptolemäermünzen, wie Brit. 
Mus. Ptol. T. 1, 9. 10. Lehrreich für die 
Gleichmässigkeit der Auffassung ist ein Ver 
gleich des Apollon Aktios (auf Münzen von 
Akarnanien: Head F. 190), des Apollo auf 
Münze von Antiochos III. (Head F. 339), 
des Velchanos von Phaistos (Head F. 255, 
zu früh angesetzt) und eines jugendlichen 
Gottes von Marathos (Head F. 351). 
5 ) Rote Statuette aus Sparta: Le Bas 
T. 94; zu einer vollen Gruppe gehörte der 
Schleifer (l’arrotino) in Florenz: Woltees 
1414; Phot. 
6 ) Ov cpEvxxdv laxoQiiga Anacreont. 9. 
Ausmalung der Qualen in der Poesie: Lucian, 
conscr. hist. 66. 
7 ) Lucil. 8, 1 f.; Ter. Eun. 2, 3, 22; sehr 
deutlich ist der Umschwung auf Münzen von 
Histiaia (Brit. Mus. T. 24, 6. 7 u. 9-14); 
Terrakotten z. B. Samml. Sabouroff T. 85. 91. 
99 ff. 119; Biaedot T. 31, i. 3. 32, 3. 33, 3. 
34, 3. 35, 2. 3. 54, 2; Vasen: Samml. Sab. 
T. 67; Münze von Morgantia, abg. Brit. Mus. 
Sicily 114; lange Unterschenkel im Sitzen: 
Relief der Mynno, Samml. Sab. T. 19; Relief 
von Delos Bch. XII T. 14. 
8 ) Goldstater Alexanders. 
9 ) Sybel, Katalog S. XII f.; Ath. Mitt. 
8, 24 ff. 
10 ) Vgl. Cato or. 114. 
11 ) Oft bei Apollo, Aphrodite, Artemis, 
Eros u. A.; Relief aus Ikaria Am. J. 5, 471 f. 
T. 11, 3; „Hygieia“ in Athen: Ath. Mitt. 1885 
T. 9. 
12 ) Vasen des späten Stils: CR. 1861 
T. 4. 6, 2; Gemälde: CR. 1860 T. 5; Philostr. 
im. 1, 27 avxotg oxsggccot xcd avxjj däcpvr}; 
Beunn, d. philostr. Gemälde, Jalirbb. Suppl. 
4, 190. 
J 3 ) Apollon. 3, 50. 
45*
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.