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Klassische Kunstarchäologie. II. Geschichte der alten Kunst.
der lokalen Arbeit und der orientalischen Einflüsse schwankt, wird man
sich an die fliehenden Nereiden halten müssen, welche zwar nach orienta
lischem Stil die gleichen Bewegungen machen, dagegen aber durch
scheinende Gewänder tragen.
Lykien bildet politisch und archäologisch eine eigene Provinz. Die
Bergbewohner halten an den alten Bräuchen lange fest, z. B. trugen
sie noch unter Maussollos lange Haare J ) und verabscheuten die hellenische
Nacktheit. Sie schrieben in einer eigenen Schrift und mit phönikischen
Zahlzeichen. Auf den Münzen erscheinen orientalische Symbole wie der
Greif, Löwe und Stier im Kampfe, geflügelter (auch gehörnter) Löwe,
Triquetrum, Sonnenscheibe, Sphinx, Ammon. Nichtsdestoweniger standen
die Lykier den Griechen nahe. Bereits 516/5 mit den griechischen Küsten
städten vereinigt, schlossen sie sich 466 an den attischen Seebund an.
Damals dürfte die Heranziehung griechischer Marmorarbeiter begonnen
haben. Lykien selbst hatte nämlich die Sitte, im Gebirge zwar den vor
nehmen Toten stattliche Felsengräber mit schön profilierter Fa^ade, * 2 ) in
der Ebene aber hohe Grabtürme zu errichten; für beide liefert Persien
die nächsten Parallelen. Unter letzteren ist das bekannteste das Harpyien
monument (nach den Eckfiguren genannt), dessen monolithen Kern ein
Fries von Marmorplatten, in der spartanischen Art Opfer an die Heroen
darstellend, umzieht. 3 ) Man beachte die unvollkommene Augenbildung und
das leise Lächeln, die zierlichen Bewegungen, die durchscheinenden Ge
wänder und dabei die Selbständigkeit in der Tracht und den Schönheits
begriffen. Eine andere Plattenreihe zeigt einen Aufzug, worin assyrisch
aufgeputzte Pferde. 4 ) Im eigenen Lande fanden die Bauherrn kaum
Marmor, 5 ) geschweige denn geübte Künstler; die Reliefs stammen also
von der Hand Fremder, vielleicht kleinasiatischer Griechen. 6 ) Kleinere
Denkmäler Lykiens bleiben noch zu ermitteln; die Perserkönige schätzten
vergoldete Schalen lykischer Arbeit. 7 )
Litteratur: G. Scharf, observations on the peculiarities of sculptures seen on the
mon. of anc. Lycia, London 1847 m. Abb.; S. 95.
Das übrige Kleinasien ist so gut wie gar nicht erforscht; doch
glaube ich ein flaches Felsenrelief Phrygiens, das den lykischen Reliefs
nahe steht, hier erwähnen zu dürfen. 8 )
Cypern setzt seinen Kunstbetrieb weiter fort, wobei es gegenüber
den eigentlichen Hellenen noch immer seine Selbständigkeit wahrt. Die
*) Ps. Aristot. oecon. 2, 2, 14.
2 ) S. 95; in Telmissos: Lichtdruck bei
Dieulafoy, Part ant. de la Perse I T. 7
(Grab des Hundes). 15 (Grab des Amyn-
tas).
3 ) Rayet, mon. I T. 18 — 16; Phot.
Bruckm. 146-7; Wolters 127—80; über
den Stil Oyerbeck, Ztsch. f. Altertumswiss.
1856, 289 ff.; Brunn, Sitzungsber. d. bayer.
Akad. 1870 II 205 ff. (zwischen Ol. 65 u. 70);
Erklärungsversuche bei Curtius, AZ. 1855,1 ff.
u. N. Kondakoff, hist. Unters, über das Har-
pyienmon. in Xanthos, Odessa 1878 (rus
sisch).
4 ) Phot. Bruckm. 102; Wolters 181—5
(sonderbare Pferdebewegungen); Aufzug von
Kriegern in Trysa: Benndorf, Reisen II F. 9
= Perrot F. 278—5. Grabrelief aus Xan
thos: Abguss in München; A. 1844, 150 m.
Abb.; Fries: Phot. Bruckm. 104; Giebelrelief:
das. T. 101a; ? Hahnenfries: das. 103.
5 ) Benndorf, Heroon S. 36,
6 ) Vgl. Benndorf a. O. S. 250.
7 ) Vgl. Athen. 11, 465 b aus einem Briefe
Alexanders.
8 ) Zu Sondürlü: Chamonard, Bch. 17,
39 ff. T. 4.