Volltext: Archäologie der Kunst [6, Hauptbd.] (Hauptb. / 1895)

446 Klassische Kunstarchäologie. II. Geschichte der alten Kunst. 
Ionisch nennen sollten, aber meist assyrisch heissen, gewinnt jedoch ihrer 
Vorgängerin zusehends Boden ab und drängt sie schliesslich in die Tempel 
und Bibliotheken zurück. Doch war die Einheit nur in der Schrift er 
rungen; noch die arabischen Eroberer fanden im Süden ein indisches, 
jedenfalls dunkelhäutiges Volk sesshaft. 1 ) Trotz der ergebnisreichen Aus 
grabungen (§ 55) gelang es noch nicht, ein so klares Geschichtsbild wie 
von dem alten Ägypten herzustellen; die wenig einheitlichen Denkmäler 
richtig anzuordnen, fällt ungemein schwer. 
Die Raceneigentümlichkeiten treffen vielfach mit denen zusammen, 
welche jetzt für semitisch gelten. Das Profil fällt durch die mächtige ge 
bogene Nase auf, deren Kurve sich mehr oder weniger bis zum Scheitel 
fortsetzt; ist der Kopf dazu noch spitz, so erinnert das Ganze lebhaft an 
einen Vogelkopf. Eine griechische Karrikatur aus Terrakotta dürfte be 
weisen, dass jener Typus nicht dem Ungeschick seinen Ursprung verdankt, 
sondern die nationalen Eigentümlichkeiten — allerdings grell! — veran 
schaulicht. Die Augen sind auffallend gross und liegen in der Mitte stark 
frei; unter der starken Nase mit den schwellenden Flügeln lächelt ein 
dicklippiger breiter Mund freundlich und schlau uns an. Die Kleidung 
verrät sofort, dass die babylonische Kultur nicht unter heissem, tropischem 
Himmel entstand. Das lange Gewand bedeckt in Friedenszeiten sogar den 
Mann bis zu den Fussknöcheln und lässt nur den rechten Arm samt 
Schulter ganz frei; man verschönert es mit Borten und Fransen oder be 
setzt dasselbe, wie es scheint, im Kreise herum mit einer Art Volants. 
Den Kopf deckt ein Hut, der mannigfachen, noch zu untersuchenden Moden 
unterliegt. Einen Bart tragen die Fürsten nicht, auch kürzen sie das Haar; 
wie sich die anders gearteten Bilder verhalten, ist ebenfalls noch der Auf 
klärung bedürftig. 
Wenn wir den Glauben an übernatürliche Wesen von unserem Stand 
punkte aus betrachten, so muss uns im Vergleiche zu Ägypten auffallen, 
dass man sich die eigentlichen Götter wie Menschen gestaltet dachte. Da 
indes äussere Unterschiede notwendig waren, so kennzeichneten entweder 
Absonderlichkeiten der Tracht oder Flügel das übermenschliche Wesen. 
Häufig kommt die Kopfbedeckung mit zwei hochaufragenden Hörnern vor; * 2 ) 
Nacktheit, Bekleidung mit einem Lendenschurz, sogar Fischhaut 3 ) kün 
digen den Gott an. Andere haben vier Flügel, wovon gewöhnlich zwei 
spitz aufwärts gerichtet sind 4 * ) (T. H F. 1). Der Heros Izdubar oder Heabani 
zeigt sich als muskulösen, häufig geflügelten Mann, der einen aufgerich 
teten Löwen oder ein Untier würgt 3 ) (T. IIIF. 2). Überhaupt halten 
Götter in vielen Bildern zwei wilde Tiere oder zwei rasche Vögel wehrlos 
an der Kehle. 6 ) Wenn aber Hea einmal „Herr des edlen Antlitzes“ (Nin- 
*) Kremer, Kulturgesch. d. Orients 1,290. 
2 ) Perrot F. 17; „Zierate der Gottheit“ 
(Tiele, Gesch. S. 128); Nannar „mit kraft 
vollen Hörnern“ (Smith, chald. Genesis S. 282 
Nr. 10). 
3 ) Oannes: assyrisches Bild bei Menant, 
glyptique II p. 51 ff.; Smith, Genesis, T. zu 
S. 40. 
4 ) Perrot F. 29; vgl. Berossos p. 49 
Richter; Knoll, Untersuchungen über das 
Attribut der Beflüglung, Diss. v. München 
1888 S. 5 ff. 
5 ) Perrot 225; Phot, zu G. Smith, chald. 
Genesis, Titelbild (knieend); Dieulafoy, 
Perse III 82. 
6 ) Z. B. K. 0. Müller, Denkm. IV T.
	        
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