Kap. X. Die eigentlichen Künste. (§ 800.)
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geringe Grösse nur genrehafte Bilder konzipiert werden; dagegen dürfte
die Masse der übrigen Statuetten wenigstens im Hauptmotiv von grösseren
Werken entlehnt sein. Mit Rücksicht auf den menschlichen Körper unter
scheiden wir Statuen und Büsten oder Hermen (.Eqixcci). Stellen diese
eigentlich nur einen mit einem Kopf geschmückten Pfeiler dar, so sind die
Büsten (Tcqoro^ccL) eine Abstraktion oder eine Abbreviatur. Sie entstehen
aus der Kunstanschauung, dass es bei dem Porträt nur auf das Gesicht
ankomme; einen konventionell behandelten Rumpf vermisste daher nie
mand. Doch herrschte über die untere Grenze der Büste keine Einheit.
Mit der Zeit treten [gewähltere Formen auf: ein geschweifter Abschluss
mit Aushöhlung an der Rückseite, ausgehöhlte Armansätze (z. B. bei An-
tinoos), 1 ) selbst der Blumenkelch, aus welchem die Büste gleichsam heraus
wächst, findet sich bei der sogen. Klytia des brittischen Museums und
anderen. * 2 ) Sogar das Kniestück blieb dem Altertum nicht unbekannt. 3 )
Für den Eindruck der Statue hat die Aufstellung nicht geringe Be
deutung. Die dekorative Statue steht auf einem Bauteil, die selbständige
auf einem Postament (Basis). So manche Figur unserer Museen nimmt
sich schlecht aus, weil der moderne Untersatz zu hoch oder zu niedrig
ist. Die altgriechische Kunst hat sehr niedrige Postamente, welche manch
mal einfache Standplatten waren, 4 ) geliebt. Der Form nach unterscheiden
wir die neutralen, welche nicht beachtet werden sollen (entweder viereckig
oder sorglos gerundet, auch ovalartig), und die architektonischen, welche
profiliert sind, Köpfe oder Pfeiler als Schmuck haben, staffelförmig ansteigen
u. dgl. mehr; 5 ) zu ihnen sind auch die mit Malerei oder Reliefs geschmück
ten Postamente zu rechnen, von denen es noch mehrere Exemplare (wo
runter ein praxitelisches?) gibt. 6 ) Zwischen den beiden Hauptklassen treten
auch Mischungen ein. 7 ) Andere Postamente späterer Zeit zeigen an ihrer
oberen Seite die Örtlichkeit an, wo man sich die Figur denken soll. In
gewissem Sinne trägt die Basis mit zur Polychromie bei; denn sie sticht
sehr oft im Farbton von der Statue ab, schon weil man oft einen billigeren
Stein, z. B. eleusinischen, dazu wählt, oder aber für Bronze- und Holz
figuren 8 ) den Stein vorzieht.
Litteratur: AZ. 84, 18 ff. m. T. 2; A. 1868 S. 196 A.; über die Grösse Overbeck,
Ber. d. sächs. Ges. 40, 287 A. 4; über die Preise von Statuen Friedländer, Acta academ.
Albertinae 1865; über die Halbmonde (prjvicxob), welche den Scheitel der im Freien stehen
den Statuen gegen die Vögel schützen sollten, Petersen, Ath. Mitt. 14, 238 ff.
II. Reliefs (vom ital. rilievo, erhaben, früher „erhabene Arbeiten“
genannt). Die Reliefs gehören der Technik nach mit den Rundfiguren
zusammen, dagegen den künstlerischen Prinzipien nach zu den zeichnenden
Künsten. Sie sind alle malerisch aufgefasst; nur kommen diejenigen,
*) Dütschke, ant. Bildwerke 2, 103. 3,
509. 4, 80; halbkreisförmig und flach: ders.
V zu Nr. 665.
2 ) Hübner, Bildnis einer Römerin, Ber
liner Winckelmannsprogr. 1873, m. 3 T.
3 ) Caylus VI T. 84, 2. 3 mit Text.
4 ) Homolle, Bch. 12, 467.
5 ) Abgestumpftes Dreieck mit Köpfen:
Apollo des Viphikratides Bch. 12 T. 13; sechs
eckig mit 4 Pfeilern: Turin 106 Dütschke ;
drei Stufen: Jahrb. 4, 93 Nr. 7; anderes MB.
8, 56. 11, 26.
6 ) In Mantineia (Paus. 8, 9, 1); Sparta:
Friederichs-Wolters 72; Musen von Hali
karnass: Trendelenburg, Berliner Winckel
mannsprogr. 1876; vgl. Paus. 2, 3, 1.
7 ) Z. B. Dütschke, Bildw. 4, 56. 67.
8 ) Eurip. Iph. Taur. 997.