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Klassische Kunstarchäologie. I. Denkmälerkunde.
spitzen ans Knochen. 1 ) Griffe, 2 ) Lanzenspitzen, 3 ) Musikinstrumente, zu
denen die Sage passt, die erste Flöte sei aus Hirschhorn gemacht worden, 4 )
sind in alter Zeit nichts ungewöhnliches. Dazu kommen die schlichtesten
Äusserungen des Kunsttriebes: Gravierungen in Bein, über welche wir
am Anfänge der Kunstgeschichte handeln wollen, 5 ) und allerlei Schnitze
reien, die im Gebirge (z. B. den Abruzzen) oder sonst unter ärmlichen Ver
hältnissen angefertigt wurden. 3 ) Das Bein dagegen ist in historischer Zeit
nur ein billiger Ersatz für das Elfenbein, dessen matter Glanz ausser
ordentlich gefiel. Die Alten bezogen dasselbe aus dem Sudan über Syene, 7 )
während das indische Elfenbein nach den syrischen Ausfuhrhäfen ging; 8 )
das beste sollte man in Adule kaufen. 9 ) Doch war fossiles Elfenbein nicht
ganz unbekannt. 10 ) Nach dem Westen kam es sowohl in Gestalt von
Zähnen 11 ) als in Halbfabrikaten. 12 ) Zum Zwecke der Bearbeitung wurde
das Elfenbein zunächst in Platten zersägt. Dann kam das Schnitzen,
mittelst dessen man Kämme, Zahnstocher, Ohrlöffeichen, Haarnadeln, Sonnen
schirme, 13 ) chirurgische Instrumente, 14 ) Würfel, Castagnetten, 15 ) Miniaturge-
fässe und ähnliche Kleinigkeiten 16 ) herstellte; meistens jedoch verkleidete
die geschnitzte Elfenbeinplatte einen Holzkern (z. B. an Tischen, und Tisch
füssen, Betten, Kästchen, in christlicher Zeit Reliquienkästchen) oder wurde
in Holz eingelegt (S. 175). Auch bildete Elfenbein oft den Griff, z. B. eines
Messers. Drechselarbeit wurde zur Gewinnung einer runden Form
benützt; z. B. sind so die sogenannten tesserae oder Marken entstan
den, 17 ) welche als Eintrittsbillette, 18 ) Prüfungszeugnisse für Gladiatoren 19 )
u. dgl. dienten; Medaillons 20 ) vermitteln den Übergang zur künstlerischen
Verwendung. Als natürliches Ornament der Beindreherei ergibt sich der
Kreis mit einem Punkt im Centrum, von concentrischen Kreisen umgeben.
Eine sekundäre Dekoration ist die schon von Homer erwähnte Bema
lung des Elfenbeins; jetzt nimmt man die Farbe natürlich selten mehr
! ) Finnen Tac. Germ. 46; Sarmaten Paus.
1, 21, 5; Hunnen Amm. 31, 2, 9.
2 ) Von Hirschhorn B. 1875 p. 198; Bocks
horn, Rhein. Jahrbb. H. 46 S. 117.
3 ) Anthr. Corresp. 1874 S. 22.
4 ) Aus Knochen oder Geweihen Anthr.
Corresp. 1874 S. 51; Hygin. fab. 165. — alt
indische Knochengeräte: Ztsch. f. Ethnol. 2,
171 f.
5 ) Zu den Kuriositäten zählt ein Wolfs
zahn mit den 12 Göttern (in Rom, Winckel-
mann’s Werke S. 102, 1).
6 ) Aus den Abruzzen: Brunn A. 1862
S. 284 ff. T. P; ygl. Ruggiero, catalogo I S.
286; Trinkgefässe bei den Geten Diod. 21,
12, 5; aoTQuyahoi aus Gazellenhorn: Polyb.
26, 1 bei Ath. 5, 194 a. Biberzähne in Ober
italien, aus Aberglauben verwendet: Congres
internat. prehist. VIII. (Budapest) 1, 448 ff.
7 ) Juven. 11, 124.
8 ) Verg. G. i, 56. Aen. 12, 67; Hör. c.
1, 31,4; Ov. am. 2,5,40; Paus. 4, 12, 3;
phönikische Händler mit Elephantenzähnen:
Palaephat. 6, 2.
ö ) Peripl. maris Erythr. 4.
10 ) Theophrast, Steinbuch 37.
n ) Ein solcher mit Reliefs verzierter
wurde in Chiusi gefunden: M. X 39a l.J l
12 ) Horn. 11. J 141 ff.
13 ) Anakreon 21, 13.
14 ) Viele Sonden in Pompeji (Sammlung
des Prof. Scalzi in Rom) und auf dem Es
quilin gefunden (B. com. 1889 p. 498, 1).
15 ) Ägyptische im Louvre: Perrot 1 576.
’ 6 ) Urne: Krinagoras Anthol. 7, 645, 6[;
gxlczö'lox?] Anacr. 21, 13.
17 ) F. Wieseler, comm. detesseris ebur-
neis osseisque I. Gött. 1866; CIL. I 715 ff.;
Exempla script. epigr. S. XXXVII S. 432 ff.
lö ) In Form eines gammarus («erreexog)
für den Rang r, aus Puteoli Ra. I 261; Lit-
teratur Ra. III 13, 230 f.
19 ) Die Litteratur ist in Iw. Müller’s
Jahresbericht Bd. LVI S. 103 verzeichnet.
a0 ) Buonarroti, osservazioni istor. s. alc.
medagl., Rom 1698.