Auffassung der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz. 555
zu rechnen sei, vor allem die Verdun-Front der 5. Armee östlich der Maas.
Am 12. Juni kamen „Mitteilungen" über Lockerung der Disziplin im fran- 12. Juni,
zösischen Heer; „Folgerung: Der Angriff bei 7. Armee (französisches III.
und XXI. Korps) muß, wenn überhaupt, bald kommen; sehr kräftig wird
er an und für sich nicht werden'").
Am 14. Juni legte die Heeresgruppe der Obersten Heeresleitung eine >4. Juni.
Denkschrift über künftige Abwehr an der Westfront vor, die sie auch ihren
Armeen zur Stellungnahme zusandte. Die Denkschrift ging von dem schon
im Heeresgruppenbefehl vom 27. Mai^) enthaltenen Gedanken aus, daß die
Abwehrschlacht im April und Mai „nur mit Einsatz sehr starker Mittel und
Kräfte, wie sie tatsächlich zur Verfügung standen", zu erfolgreichem Ende
geführt werden konnte; es sei aber ungewiß, ob wir künftig wiederum über
die gleichen Kräfte und Mittel verfügen würden.
Über die Lage an der Front war die Auffassung der Heeresgruppe am
16. Juni noch dieselbe wie am 9. Juni. Vei der 7. Armee fei nicht zu erkennen, >«. Juni,
daß eine neue Schlacht unmittelbar bevorstehe. Da das feindliche Artillerie-
und Gasfeuer an Stärke und Planmäßigkeit zugenommen hatte, die feind-
liche Infanterietätigkeit aber gering war, sah man nicht ganz klar und schrieb:
„Die Lage gleicht in hohem Maße derjenigen Anfang April, wo gleichfalls
die feindliche Infanterie sich ganz still verhielt. Die Frontbesetzung beim
Feinde spricht vorläufig ganz für ernste und gar nicht für demonstrative
Absichten." Bei der I.Armee halte sich die französische Artillerie zurück,
möglicherweise, um ungestört „Vorbereitungen für weitere Angriffe zu
treffen". Alles in allem rechnete die Heeresgruppe mit neuen starken feind-
lichen Angriffen, wenn vielleicht nicht sofort, so doch in einiger Zeit. Nach-
richten über Meutereien oder sonstiges Nachlassen der Kampfesstimmung
im französischen Heere find in den Beurteilungen der Lage nicht zu finden.
Und doch haben jene Nachrichten aller Wahrscheinlichkeit nach mit dazu
geführt, den Gedanken des eigenen Angriffs nochmals ernstlich zu erwägen.
Da der Angriff des Gegners auf sich warten ließ, schien es richtiger, selbst
anzugreifen und dem Feinde das Konzept zu verderben, als abzuwarten, bis
sich seine Truppen von ihrem moralischen Niederbruch erholten. Man wollte
') Aufzeichnung im Kr. Tgb. der Hgr. Die Mitteilungen kamen vermutlich von
der O. H. L. und sind vielleicht zurückzuführen auf eine vom spanischen Generalstab
stammende, über Wien am 12. Juni eingegangene Nachricht, daß „die Disziplin an der
französischen Front derart nachgelassen habe, daß eine weitere Offensive ernstlich in
Frage gestellt ist ... überhaupt hat sich laut übereinstimmender Meldung die Lage in
Frankreich in letzter Zeit wieder sehr verschlimmert. Die bisherigen Vorgänge und
Streiks werden als Vorboten einer ernsten Revolution angesehen".
2) S. 551.