Ursachen des Mißerfolges. — Die Überraschung.
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Erwartungen, die das Armee-Oberkommando und auch die Heeresgruppe auf
das Halten der Stellungen durch die Stellungs-Divisionen setzte, über den
Haufen geworfen. Das mit voller Wucht auf die vordersten Linien zu-
sammengesaßte Feuer hatte um so größere Wirkung gehabt, als die Tiefen-
gliederung der Infanterie noch nicht voll durchgeführt war, da in den hinteren
Linien und im Zwischenfeld schußsichere Unterkunft noch fast ganz fehlte. Be-
sonders hatte sich das an den Vimy-Höhen bemerkbar gemacht, wo die Stel-
lungen zwangsläufig auf dem schmalen Vorderhang zusammengedrängt waren.
Aber auch die Zuversicht des Armee-Oberkommandos, daß die Artillerie
imstande sein werde, die Infanterie entscheidend zu unterstützen, hatte sich als
trügerisch erwiesen. Heftiges feindliches Feuer in der Nacht zum 9. April
und Gasbeschuß hatten große Teile von ihr lahmgelegt und ausreichende
Ergänzung ihrer Munitionsbestände verhindert. Dann aber hatte das dem
Sturm unmittelbar vorausgehende überwältigende englische Massenfeuer
schlagartig jede Beobachtung und Verbindung nach vorn und damit jede
wirksame Feuerunterstützung der Infanterie ausgeschaltet. Cs konnte nur
noch Sperrfeuer abgegeben werden, das der Angreifer aber wohl längst unter-
laufen hatte. Sehr frühzeitig und völlig überraschend erschien er dann im
Rauch der Feuerwand vor den Batterien selbst; an ein Zurückbringen der
Geschütze war nicht mehr zu denken. Da die Masse der Batterien, dem Ge-
lande sich anpassend, verhältnismäßig nahe hinter der vorderen Linie stand,
ergaben sich große Materialverluste.
Daß die Ruhebataillone der Stellungs-Divisionen in den letzten Tagen
vor der Schlacht aus Schonungsgründen bis zu 20Kilometer hinter die
Front zurückgenommen worden waren, hat sich schwer gerächt. Daß die zur
Ablösung bestimmten Divisionen bei der äußerst gespannten Lage nicht für
alle Fälle näher herangezogen waren, hat frühzeitiges Abfangen des eng-
lischen Angriffs vollends unmöglich gemacht. .Beides zusammen trägt damit
die Hauptschuld an der Tiefe des Einbruchs wie an den außerordentlich
hohen Geschützverlusten. Bei den Maßnahmen des Armee-Oberkommandos
hatte die Sorge mitgesprochen, die Kräfte der Truppen vorzeitig zu ver-
brauchen. Die Ablöfungs-Divisionen waren bis auf zwei hinter dem
äußersten rechten Flügel, von denen die eine übrigens erst am 9. April mit
der Bahn eintraf, keineswegs voll kampfkräftig, sondern bedurften noch zwei-
wöchiger Ruhe und Ausbildungszeit'); jeder Tag, den man sie länger hinten
ließ, bedeutete dabei Gewinn. Aber auch als man sie vorzog, haben Heeres¬
gruppen- und Armee-Oberkommando nicht an unmittelbares Eingreifen in
die Schlacht am ersten Kampftage gedacht, denn die Divisionen standen an
') Meldung des A. O. K. 6 vom 7. April.