Der Sommer 1915.
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einmal der an den Dardanellen hart bedrängten Türkei durch Öffnung des
von Serbien gesperrten Donau-Weges Hilfe zu bringen, vor allem aber
starke Kräfte auf den westlichen Kriegsschauplatz zurückzuführen und hier den
schon im Frühjahr geplanten Cntscheidungskampf auszutragen. Ende Juli
vermerkte der Chef des Feldeisenbahnwesens, Generalmajor Groener, in
seinem Privattagebuch^): „Sie (d.h. Falkenhayn und Tappen) wollen sich
mit der Defensive in der Bug-Linie begnügen, um dann ihre zehn Korps
zum Durchbruch nach dem Westen zu bringen. Auf diesen Gedanken kommt
Falkenhayn immer wieder zurück". Auch den Feldzug gegen Serbien, für
den der Osten die Kräfte hergeben sollte, hoffte der Generalstabschef so rasch
zu führen und zu beendigen, daß der große Entscheidungsschlag auf fran-
zösischem Boden noch im Jahre 1915 fallen konnte. Als Durchbruchsstelle
scheint auch jetzt die überwiegend von Engländern besetzte Front nördlich
der Somme in Aussicht genommen gewesen zu sein. Ein vorangehender
Angriff im Ober-Elsaß sollte ablenkend wirken.
Da aber im Beginn des serbischen Feldzuges Verzögerungen eintraten
und General von Falkenhayn im Widerspruch zu diesen seinen Plänen es
zuließ, daß die Operationen im Osten weiter ausgedehnt wurden und
dabei zum Teil auch andere Bahnen nahmen, als er ursprünglich gewünscht
und erwartet hatte, konnte bereits um die Monatswende August/September
kein Zweifel daran bestehen, daß der Zeitpunkt für den Durchbruch im
Westen in die Ferne rückte. Die Rückführung aller im Osten nach Abschluß
der dortigen Offensive entbehrlich werdenden Kräfte an die Westfront
mußte so erhebliche Zeit in Anspruch nehmen, daß die Durchbruchsoperation
schwerlich noch vor Eintritt des Winters hätte begonnen werden können.
Die schwere Krise, die Ende September der von General von Falkenhayn
nicht vorhergesehene feindliche Doppelangriff in der Champagne und im
Artois heraufbeschwor, verschob dann alle Grundlagen des Planes und
stellte eine Zeitlang sogar ernsthaft in Frage, ob überhaupt noch an seine
Verwirklichung gedacht werden könne. General von Falkenhayn wurde
jedoch dieses Schwächeaugenblicks mit seiner oft erprobten Nervenstärke
schnell wieder Herr. Cs gehörte Wagemut und Zielsicherheit dazu, um
trotz der verschärften Lage an der Westfront dem kurz zuvor gefaßten Cnt-
Wusse treu zu bleiben, das deutsche Stärkeaufgebot für den serbischen Feld-
zug so zu erhöhen, wie es der unerwartet eingetretene Ausfall im Kräfte-
beitrag des Verbündeten erforderte. Bei der Durchführung der Balkan-
Offensive hielt der Generalstabschef streng daran fest, daß starke deutsche
Kräfte nur vorübergehend auf einem Nebenkriegsschauplatz festgelegt werden
durften.
*) Band VIII, ©.343, Anmerkung.