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Die russische Oberste Führung bis Ende August.
«.Juni, sei, trotz schwierigster Umstände jeden Fußbreit Landes zu verteidigen;
„der Kaiser, Rußland und der Großfürst fordern von uns hartnäckigen
Kampf. . . Wir haben doch nicht deswegen das ganze Gebiet mit
einem Netz starker Stellungen überzogen, um jetzt, nur durch Nachhuten
gedeckt, in einem Zuge zurückzuweichen'").
An demselben Tage berichtete der Großfürst dem Zaren2), daß der
Fehlbestand jetzt 300 000 Mann an der Südwestfront und 100 000 Mann
an der Nordwestfront betrage, für den eintreffenden Ersatz aber die Waffen
fehlten; „damit hört jede Strategie auf". Der Ausbildungsstand des Er¬
satzes, der bei dem Mangel an Gewehren kaum schießen gelernt habe, sei
unter jeder Kritik; es fehle an Offizieren. „Die Initiative können wir
nicht wieder an uns reißen, sondern müssen uns darauf beschränken, die
Stöße des Gegners abzuwehren . . . Durch die ungeheuren Verluste sinkt
der Wert der Truppe mit jedem Tage; die Einheiten schwinden dahin."
Obgleich jetzt Italien in den Krieg getreten sei, hätten die Deutschen ihre
Kräfte gegen Rußland verstärkt. Auch der Angriff der Franzosen fei
wirkungslos geblieben, trotz ihres Einsatzes von zehn Korps, Überlegenheit
an Artillerie und unbegrenzter Munition2). Es sei „betrübend und be¬
schämend", daß Rußland „wirklich mehr als heldenhafte, glänzende Trup¬
pen aus Mangel an Waffen und Munition unerhörte Verluste erleiden und
dafür nicht einmal durch Erfolge belohnt werden". Vei solcher Lage
kam in den gleichzeitig mit den Westmächten gepflogenen Unterhandlungen
über bessere Zusammenarbeit nur Hilflosigkeit .zum Ausdruck, auf den
Gang der Ereignisse blieben sie ohne Einfluß.
8.Zuni. Am 8. Juni antwortete General Ianuschkewitsch General Alexejew
auf dessen Vorschlag zum Ausweichen, daß am Rarew und bei Grojec
die letzten Stellungen lägen, die ohne Preisgabe der Gesamtlage noch in
Frage kämen. Cr erhalte vier Abteilungen schwerer Artillerie, das bedeute
eine „wesentliche Verstärkung'") der Nordwesssront. Die endgültige Ent¬
scheidung darüber, was nun geschehen solle, bliebe ihm überlassen. Der
Großfürst war damit einverstanden, die Bewegung bald durchzuführen; Be¬
dingung sei nur, daß mit dem Bau eines zweiten Stellungssystems hinter
Vobr und Rarew sowie im Rücken der Stellungen von Grojec und Radom
alsbald begonnen werde. An der Südwestfront sah sich General Vrussilow
15, Juni, am 15. Juni gezwungen, den Rückzug auf die Grodek-Stellung westlich von
0 Rjesnamow, S. 57.
2) Rjesnamow, S. 56 ff. und Bontsch-Vrujewitsch, S. 259.
3) S. 84 ff. Die Franzosen waren über das Stärkeverhältnis anderer Ansicht.
4) Insgesamt 8 Batterien 15 oiu-Haubitzen und 4 Batterien 10 ow-Kanonen,
zusammen 48 Geschütze. — Vgl. S. 437.