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Die Lage der Mittelmächte im Mai 1915.
Die Kämpfe der Türken auf der Halbinsel GallipoliH gaben trotz
mehrfacher ernster Krisen keinen Anlaß zu unmittelbaren Besorgnissen.
Von den 52 Divisionen des türkischen Heeres waren elf an den Dardanellen
eingesetzt. Gegen ihre zähe Verteidigung vermochten die gelandeten 65 000
Franzosen und Engländer keine weiteren Fortschritte zu erzielen. Immerhin
mußte angenommen werden, daß der schließliche Ausgang des Ringens
nicht zuletzt vom ungehinderten Zuflusse deutschen Kriegsmaterials abhing.
Doch gewann General von Falkenhayn aus den aus Konstantinopel vor¬
liegenden Meldungen gegen Ende des Monats Mai den Eindruck, daß es
dem Osmanischen Reiche gelingen werde, die Lage an den Meerengen zu¬
nächst noch weiter aus eigener Kraft zu halten; ein Hinausschieben der
Offensive gegen Serbien konnte deshalb auch vom Standpunkt der Lage an
den Dardanellen verantwortet werden.
In der Frage der Kriegserklärung an Italien nahm die Türkei die
gleiche Haltung wie Deutschland ein; der Kriegszustand mußte, wenn mög¬
lich, so lange vermieden werden, als die politische Lage auf dem Balkan
noch ungeklärt war.
Bei dieser Entwicklung der Dinge blieb die Kriegserklärung Italiens
zunächst ohne entscheidenden Einfluß auf die militärische
Lage der Mittelmächte. Sogleich aber drohten sich die w i r t s ch a f t l i ch e n
Folgen, die Italiens Kriegseintritt für die Mittelmächte hatte, fühlbar zu
machen; vor allem war es unsicher, ob es gelingen werde, weiterhin die Zu¬
fuhr über die italienische Grenze zu erhalten.
2. Die Verschärfung der tt?trtfd)afrltd>en Lage der Mittelmächte
und der Unterseeboots-Handelskrieg.
Bei der Versorgung mit ausländischen R o h st o f f e n hatte Ita¬
lien bisher eine wichtige Rolle gespielt. Ein erheblicher Teil der ame¬
rikanischen Baumwolle war, seitdem England die Nordsee zum Kriegs¬
gebiet erklärt hotte2), über Genua eingeführt worden. Schwierigkeiten, die
Italien anfänglich dieser Durchfuhr bereitete, waren durch Vorstellungen
der Vereinigten Staaten behoben worden. Seit der Kriegserklärung an
Österreich-Ungarn unterband Italien jedoch auch den Durch- und Ausfuhr¬
handel nach Deutschland. Die deutsche Volkswirtschaft war nunmehr in
der Versorgung mit Rohstoffen, abgesehen von den im einzelnen zwar be¬
deutungsvollen, insgesamt aber doch geringen Zufuhren aus den angren-
i) Band VII, S. 364/365. — -) Band VI, S. 425 f.