Erwägungen über den Einsatz von Verstärkungen an der Ostfront. 199
von Falkenhayn dem zu mündlicher Aussprache nach Pleß berufenen General
Ludendorff dargelegt, daß große Unternehmungen im Bereich des Ober¬
befehlshabers Ost einstweilen nicht in Frage Emen1). Der Wunsch, die
jetzige Frontlinie zu halten, müsse in Einklang gebracht werden mit der
Notwendigkeit, weitere Truppen zur Verfügung der Obersten Heeresleitung
herauszuziehen. Den daraufhin von General Ludendorff gemachten Vor¬
schlägen entsprechend folgte am 25. Mai die Mitteilung an Generalfeld¬
marschall von Hindenburg, daß die allgemeine Kriegslage unbedingt zur
Bereitstellung von Heeresreserven in weitestem Umfange nötige. Zu diesem
Zwecke seien aus seinem Befehlsbereiche nach und nach fünf Divisionen
freizumachen^). Sofort verfügbar waren also auch diese Kräfte für den
galizischen Kriegsschauplatz nicht. Die Oberste Heeresleitung behielt sich
zunächst nur das Verfügungsrecht vor über eine zum 3. Juni verladebereit
zu stellende Division der 9. Armee — der Oberbefehlshaber Ost be¬
stimmte hierzu die 22. Infanterie-Division — und über die neuzubildende
107. Infanterie-Division, deren Aufstellung in Thorn Anfang Juni abge¬
schlossen sein sollte.
Der We st front Kräfte zu entziehen, erschien bei der dort immer noch
gespannten Lage bedenklich^). Trotzdem beschloß General von Falkenhayn
am 1.Juni das Wagnis auf sich zu nehmen, das vom Armee-Oberkom¬
mando 4 zur Verfügung gestellte XXII. Reservekorps (ohne 85. Reserve-
Infanterie-Brigade) und die vorübergehend aus der Front zurückgezogene
8. bayerische Reserve-Division dem Osten zuzuführen^). So gelang es
schließlich, im ganzen viereinhalb Infanterie-Divisionen als Verstärkungen
für die Fortführung der Offensivoperation auf dem Kriegsschauplätze nörd¬
lich der Karpaten flüssig zu machen.
Über den Punkt des Einsatzes waren die Ansichten anfangs
auseinandergegangen. General von Falkenhayn versprach sich von einer
unmittelbaren Verstärkung der in Galizien kämpfenden Truppen eine weniger
große Wirkung als von ihrer mittelbaren Unterstützung durch den Einsatz
der frischen Kräfte an der Front nördlich der Weichsel im Befehlsbereich
des Generalobersten von Woyrsch. Rach mündlicher Rücksprache mit dessen
Generalstabschef, Oberstleutnant Heye, äußerte er sich hierüber am 28. Mai
in einem Schreiben an den Oberbefehlshaber Ost folgendermaßen^):
„. . . Wenig aussichtsvoll ist die Lage in Galizien. Bei der geringen
Offensivkraft unserer Verbündeten und der täglich sich verstärkenden Über¬
legenheit des Feindes stehen wir dort über kurz oder lang vor der Gefahr
eines völligen Stillstandes, die für uns jetzt nach dem Eingreifen Italiens
0 S. 122. — 2) Näheres S. 122/123. — 3) S. 73/74. — 4) S. 79. — "■) S. 264/265.