Würdigung der deutschen Operationen in Ostpreußen.
547
Munitionsmangel. General Siewers rechnete mit dem Eintreffen weiterer
deutscher Verstärkungen und wollte den Angriff wieder einstellen, um Ersatz
und Munition abzuwarten. Da schien sich auf dem Nordflügel doch noch
Hoffnung auf Erfolg zu bieten. Die 1. selbständige Kavallerie-Brigade
hatte nördlich von Wladislawow die Landesgrenze erreicht, das Kavallerie-
korps Gurko die Gegend nördlich des Wischtyter Sees; man hoffte, die bei
Wirballen stehende deutsche Nordgruppe umfassen zu können. General
Siewers befahl für das III. und XX. Korps die Fortsetzung des Angriffs.
Der äußerste Nordflügel kam am 31. Oktober bei Wladislawow etwas
vorwärts; in der Front aber kam der Angriff des III. Korps gegen die
Stellungen des deutschen Korps Velow überhaupt kaum zur Entwicklung.
Gurkos Kavallerie wich vor der deutschen 1. Kavallerie-Division zurück. Das
XX. Korps drang im Südostteil der Romintenschen Heide langsam weiter
vor. Am 1. November ließ General Siewers den Angriff fortsetzen. Cr kam
aber an diesem und auch am folgenden Tage nicht mehr wesentlich weiter.
Die amtliche russische Darstellung über diesen Abschnitt des Feldzuges
in Ostpreußen schließt mit der Feststellung'): „Der Kampf der Deutschen
gegen die Russen, die an Zahl fast immer in doppelter Übermacht waren,
zeigt alle Eigenarten der deutschen Taktik. Die russischen Operationen
wurden, seit General Siewers den Befehl übernommen hatte, zwar lang-
sam, aber folgerichtig geführt. Schritt für Schritt dem Ziele entgegen."
Dieses Verfahren fand die Anerkennung des Oberbefehlshabers der Nord-
Westfront. '
Der deutschen 8. Armee war es gelungen, die Russen bis Ende
Oktober vom ostpreußischen Boden fernzuhalten. Beträchtliche feindliche
Übermacht war an Ostpreußens Ostgrenze gefesselt; schwer waren die Ver-
lüfte ihrer vergeblichen Anstürme gewesen. Einen entscheidenden Sieg
hat aber General v. Frangois ebensowenig wie General v. Schubert zu
erringen vermocht. Alle Versuche, dem Gegner das Gesetz vorzuschreiben
und die Operationen beweglich zu erhalten, haben sehr bald wieder zur
Erstarrung der Linien geführt. General v. Francis griff die russische
Mitte an. Vielleicht hätten starre Abwehr an den zahlreichen Seenlinien
im Süden und Angriff mit zusammengefaßter Kraft gegen den ver-
hältnismäßig schwachen russischen Nordflügel besseren Erfolg gebracht und
auch die Kräfte der deutschen Truppe mehr geschont. Solchen Angriff hatte
General v. Schubert, als er abberufen wurde, schon vorbereitet, die Generale
Otto v. Velow und v. Morgen haben ihn mehrfach vorgeschlagen. Auf die
*) Korolkow, Überblick, S. 107.
35*