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Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
vor Raigrod zurückgelassenen schwachen deutschen Abteilungen wichen auf
Lyck zurück. Die 49. Reserve-Division wies den Gegner zwar zunächst ab,
mußte aber am folgenden Tage vor neuen Angriffen der Sibirier ihren Nord-
flügel zurückbiegen, um Anschluß an das Korps Morgen zu nehmen, das
trotz aller Bemühungen nur wenige Kilometer vorwärtsgekommen war.
Weiter nördlich herrschte vor den Stellungen des I. Armeekorps Ruhe. Bei
Wirballen bestand zur Zeit keine Gefahr, und im Süden war der Gegner
auf Lyck nur vorsichtig gefolgt.
Nach Schätzung der Flieger standen am 23. Oktober im Räume
Augustow—Suwalki und westlich etwa zwei russische Korps. Nördlich
davon waren vor der 1. Kavallerie-Division nur schwache feindliche Kräfte
festgestellt. Meldungen über Anhäufung von zwanzig Cifenbahnzügen bei
Augustow bestärkten den Armeeführer in der Auffassung, daß der Gegner
Truppen abbefördere. Daher entschloß er sich, — trotz weiter anhaltenden
Munitionsmangels, sichtlich stark geminderter Angriffskraft vor allem des
XXV. Reservekorps und geringen Erfolges der bisherigen Kämpfe — den
Angriff in der Richtung Augustow—Suwalki doch wieder aufzunehmen.
Auch die Fliegermeldung, daß starke feindliche Kavallerie von Südwesten
und Nordosten auf Grajewo vorgehe, brachte diesen Entschluß nicht ins
Wanken.
Zur Sicherung der rechten Flanke mußte General v. Scheffer die Be¬
satzung von Lyck verstärken; außerdem wurde die 41. Kavallerie-Brigave
der 1. Kavallerie-Division dorthin verladen. Da weitere Teile des XXV.
Reservekorps die Enge südöstlich vom Gr. Selment-See — jetzt mit der
Front nach Süden — zu sperren hatten, blieben von der 50. Reserve-Division
schließlich nur einige Bataillone und Batterien bei Pissanitzen hinter der
49. Reserve-Division verfügbar.
2«.btSW.sr. Der Angriff sollte am 24.Oktober beginnen und mit einer Stoß-
tober. gruppe, gebildet aus dem linken Flügel des XXV. Reservekorps und dem
rechten des Korps Morgen (Festungstruppen von Graudenz), auf Ratfchki
geführt werden. Diesen Hauptstoß sollte der rechte Flügel des I. Armee-
korps unterstützen, indem er von Filipowo östlich der Seen ebenfalls auf
Ratschki vorging. Über dem Angriff waltete ein ungünstiger Stern. Ge-
rade die Stoßgruppe bestand aus Truppen von geringerem Kampfwert.
Ihr Angriff fiel zeitlich auseinander, da hier neu eingesetzte Teile der
50. Reserve-Division teilweise verspätet eintrafen. Damit ging die
Überraschung verloren, die Angriffstruppen gerieten in starkes feindliches
Artilleriefeuer. Die eigene Artillerieunterstützung versagte, der Angriff
blieb liegen. Aber auch das I. Armeekorps lief sich fest, obgleich sein neuer