Vorschlag des Generals v. Cramon.
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Infanterie-Division zu seiner Verfügung zum Stützen der 2. Ar,nee oder
durch Offensive stärkerer Kräfte aus Richtung Gorlice gegen Flanke und
Verbindungen russischen Angriffs .. .;/1).
Im Anschluß an dieses Telegramm sandte General v. Cramon folgen¬
den Tags noch einen ausführlichen Bericht an die Oberste Heeresleitung.
Aus ihm war zunächst ersichtlich, daß „nach näheren Nachrichten den Rusien
tatsächlich nur an einzelnen Stellen und mit starker Überlegenheit ge¬
lungen zu sein scheine, in die österreichischen Linien einzubrechen und ihnen
dort allerdings sehr schwere Verluste beizubringen". General v. Cramon
wies dann aber doch aus die große Entmutigung hin, die erfahrungsgemäß
unter dem Eindruck solcher örtlichen Mißerfolge in dem verbündeten Heere
Platz greife. Wörtlich hieß es: „Man glaubt teilweise nicht mehr an den
Sieg der österreichischen Waffen, wenn das offiziell natürlich auch nicht zu¬
gegeben wird. Exzellenz v. Conrad ist gleichbleibend ruhig und bestimmt.
Das Versagen der 2. Armee, die . . . Przemysl entsetzen sollte und jetzt
nicht einmal mehr defensiv sicher hält, stimmt ihn aber natürlich bedenklich.
Cr sieht die Lage als ernst, wenn auch als nicht unbedingt bedrohlich an
und hofft, daß dem Vordringen des Gegners, wie so oft schon, Einhalt ge¬
boten wird. Euer Exzellenz erneut um Hilfe zu bitten, hat er sich, um es
offen zu sagen, begreiflicherweise gescheut und mir anheimgestellt, die
Wünsche, die er im Grunde seines Herzens hegte, Euer Exzellenz zu melden.
Alle Anzeichen und Meldungen lassen darauf schließen, daß die Russen
gegen die Karpaten-Front immer noch Kräfte zusammenziehen und an
irgendeiner Stelle durchbrechen wollen . . . Als ein durchschlagendes
Mittel von größerer Tragweite, um das Vordringen der Russen auszu¬
halten, betrachtet Exzellenz v. Conrad eine energische Offensive gegen die
rückwärtigen Verbindungen des Angriffsflügels der russischen Armee aus
der Gegend von Gorlice in östlicher und nordöstlicher Richtung. Da hierzu
aber die nötigen österreichischen Kräfte fehlen, ließe eine solche sich nur mit
i) Über die Vorgeschichte dieses Telegramms berichtet General v. Cramon in
seinem Buche „ünser österreichisch-ungarischer Bundesgenosse im Weltkrieg", S. 12:
„Ich hatte, veranlaßt durch ungünstige Nachrichten über die 2. Armee, erneut mit
Conrad gesprochen. Dieser hatte deutsche Hilfe erbeten. Ich betonte, daß deutsche
Truppen zu rein defensiver Verwendung kaum verfügbar gemacht werden würden;
etwas anderes wäre es, wenn die Lage durch eine Offensive geändert werden könnte.
Conrad erwiderte: an eine Offensive wäre zur Zeit gar nicht zu denken; man müßte
froh sein, die Russen von üngarn fernhalten zu können. Bald nach diesem Gespräch
ließ mich Conrad nochmals rufen: ich hätte vorhin von Offensive gesprochen; falls
Falkenhayn für diesen Zweck etwa vier deutsche Divisionen freimachen könnte, so
würde ein Angriff gegen die Front Gorlice—Tarnow außerordentlich aussichtsvoll
sein und die Lebensadern der russischen Karpaten-Front durchschneiden."