Lage und Absichten der Ruffen im Januar 1915.
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In der Denkschrift selbst hieß es weiter: „Einen entscheidenden Schlag
gleichzeitig an der ganzen Front gegen unsere beiden Gegner zu führen,
sind wir natürlich nicht in der Lage." Man müsse sich für die Richtung
gegen Wien (Budapest) oder gegen Berlin entscheiden. Rach Wien sei
der Weg näher, man werde es nur mit den durch die früheren Niederlagen
geschwächten Österreichern zu tun haben. Die Offensive auf Wien werde
auch Rumänien und Italien geneigt machen, sich auf die russische Seite zu
schlagen, und das könne dann „sogar den völligen inneren Zusammenbruch
der ganzen österreichisch-ungarischen Monarchie bewirken". Andererseits
treffe der Vormarsch auf Wien (Budapest) nur den „Gegner zweiten Ran¬
ges" und erscheine „vom Gesichtspunkt der gemeinsamen Verbandsinteressen,
die einen konzentrischen Schlag gegen unseren Hauptgegner, die Deutschen,
erfordern, unvorteilhaft".
In dieser Hinsicht — so hat General Danilow nach dem Kriege er¬
läuternd eingeschaltet — hatten sich die Verhältnisse seit Kriegsbeginn
grundlegend geändert. Damals sei das Heer der Donau-Monarchie für
Rußland der stärkste Gegner gewesen. Im Januar 1915 aber habe man
nicht mehr annehmen können, daß es noch zu selbständiger Offensive fähig sei.
Die Deutschen aber hätten ihre Kräfte an der Ostfront inzwischen von fünf
auf fünfzehn Armeekorps gebracht (ungerechnet die einzelnen Brigaden und
Divisionen) und hätten seitdem, „was ihre Stärke anbelangt, unter allen
unseren Gegnern an erster Stelle gestanden". Stieß man mit voller Kraft
tief nach Österreich-Ungarn hinein, so wäre man nicht mehr stark genug ge¬
wesen, gleichzeitig einen großen deutschen Angriff abzuwehren, den man
trotz der Kämpfe im Westen doch immer noch für durchaus möglich hielt.
Daher sei der Vormarsch auf Wien nur in Frage gekommen, wenn man der
Donau-Monarchie dadurch „in kurzer Zeit einen tödlichen Schlag" versehen
konnte. Das aber sei sehr unsicher gewesen. Schließlich aber hätte selbst
die erfolgreiche Durchführung dieser Operation noch lange nicht das Ende
des Krieges bedeutet.
In seiner Denkschrift zog General Danilow den Schluß, daß nur
eine Möglichkeit bleibe: entscheidender Schlag gegen die Deutschen. Der
aber erschien schwierig^), da die deutschen Grenzgebiete über ein ungemein
reich entwickeltes^) Eisenbahnnetz verfügten. Der Gegner habe dadurch die
Möglichkeit zu schnellen Truppenverschiebungen gehabt, durch die er den
russischen Angriff jederzeit aufhalten oder von der Flanke treffen konnte.
9 In dem Buche des Generals Danilow ist nicht immer sicher festzustellen, was
in der Denkschrift selbst stand und was der Verfasser nachträglich erläuternd hinzu¬
gesetzt hat.
9 D. h. im Vergleich zum Vahnnetz Rußlands und Österreich-Ungarns.