Die Auffassung des Generalobersten v. Prittwih.
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daß sie nicht durch Stehenbleiben gelöst werden kann, ist klar. Wohin
aber die Stöße der Armee zu führen sein werden, läßt sich zur Stunde
und wohl auch in den nächsten Tagen noch nicht übersehen . . . .“
Diese Direktive trug dem kühnen Angriffsgeist der Schlieffenschen
Auffassung doch nicht in vollem Umfange Rechnung. Die in der Moltke-
schen Ausmarschanweisung für die 8. Armee vorangestellte Ausgabe, die
östlichen Provinzen gegen einen russischen Einfall zu schützen, war in ihr
nicht erwähnt; sie war zurückgetreten gegenüber dem Gesichtspunkte, sich
„die Weichsel als Basis" zu erhalten. Daraus darf nicht geschlossen werden,
daß Generaloberst v. Prittwitz und sein Generalstabschef den Schuh Ost¬
preußens etwa abgelehnt und schon jetzt an einen frühzeitigen Rückzug
hinter die Weichsel gedacht hätten. Das war nicht der Fall; vielmehr ver¬
anlaßte gerade Generaloberst v.Prittwitz, daß die zur Überschwemmung der
Rogat-Riederung nach den Mobilmachungsvorarbeiten schon für die ersten
Tage in Aussicht genommene Durchstechung der Dämme bis auf weiteres
hinausgeschoben wurde. Er wollte versuchen, seine Aufgabe, so wie es
der Aufmarschanweisung entsprach, durchzuführen, hatte dabei aber doch —
übrigens nicht unberechtigte — Zweifel, ob er sie mit den verfügbaren
Kräften werde lösen können.
Der Aufmarsch der Verbände der 8. Armee verlief ohne irgend¬
welche Störung durch den Feind. Mit Nachdruck betrieb das Ober¬
kommando ihre Verstärkung durch Teile der Festungsbesatzungen von
Königsberg und von der Weichsellinie. Die Russen hatten ihre
Truppen fast überall von der Grenze zurückgezogen. Der befürchtete
frühzeitige Einbruch großer feindlicher Kavalleriemassen blieb aus, ob¬
gleich sich ihm gerade in den ersten Mobilmachungstagen in Ostpreußen
besonders gute Aussichten geboten hätten. Später wurde ein solches Unter¬
nehmen von Tag zu Tag aussichtsloser und damit unwahrscheinlicher.
Die russische 4. Kavallerie-Division, die am 9. August allein gegen Bialla
(30 km südwestlich Lyck) vorstieß, wurde unter Verlust von 6 Geschützen
schon durch den Grenzschutz des XX. Armeekorps abgewiesen. Ander¬
seits kam es in Tsch en stoch au und in noch größerem Umfange in
Kalisch zu verlustreichen Überfällen der Bevölkerung — möglicher¬
weise veranlaßt durch russische Agenten —auf deutsche Landwehrtruppen.
Strenge Maßnahmen waren die Folge.
Am 10. August war der Aufmarsch der zunächst für den Osten
verfügbaren deutschen Kräfte beendet.
Die Masse des österreichisch-ungarischen Heeres, unter dem
Erzherzog Friedrich von Österreich mit General v. Conrad als
Weltkrieg. II. Banb. A