Die russischen Entsatzversuche am 50. August.
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mehr, russischerseits war ein groß angelegter Entsatzversuch in vollem
Gange! Eine neue schwere Krise war völlig unerwartet hereinge¬
brochen.
Der errungene Sieg tonnte zwar nicht mehr in Frage gestellt werden,
wohl aber schien es unsicher, ob man seine Früchte in vollem Umfange
werde ernten können. Das gleichzeitige Vorgehen der russischen Truppen
auf Neidenburg und Ortelsburg bedrohte den vom I. und XVII. Armee¬
korps um die Reste der Rarew-Armee gezogenen Kreis ernstlich. Der
Kampf gegen den eingeschlossenen Feind war noch nicht beendet. Flieger
hatten noch um 530 vormittags etwa eine russische Division im Marsch
aus der Gegend von Orlau nach Osten, um 5 50 Kampf nördlich Muschaken
und um 830 russisches Artilleriefeuer bei Gregersdors beobachtet. Die
deutschen Einschließungstruppen des I. Armeekorps waren auf andert¬
halb Tagemärsche von Neidenburg bis Willenberg auseinander¬
gezogen, die des XVII. Armeekorps standen, wie General v. Mackensen
um 830 vormittags gemeldet hatte, im Raum Willenberg—Ortelsburg—
Passenheim—Iedwabno, also fast ebenso weit verteilt. Die Truppen
mußten infolge der mehrtägigen Kämpfe durcheinandergekommen, an
Zahl und Gefechtskraft geschwächt sein. Sie waren durch den eingeschlosse¬
nen Feind sowie durch Bewachung und Begleitung der zahlreichen Ge¬
fangenen voll in Anspruch genommen. Es erschien daher fraglich, ob
vor allem das I. Armeekorps aus eigener Kraft in der Lage sein würde,
sich des neuen starken Gegners zu erwehren.
Bei Neidenburg mußte man auf mindestens ein russisches Korps
rechnen, bei Ortelsburg war der Gegner wahrscheinlich schwächer. Der
Vorstoß aus Neidenburg hatte die bedrohlichere Richtung; durch ihn
konnte das I. Armeekorps möglicherweise sogar genötigt werden, am
30. August nach Nordosten, auf Iedwabno, auszuweichen, um seine
Kräfte erst zu neuem Kamps zu sammeln und zu ordnen. Anderseits
konnte sich gerade daraus eine günstige Gelegenheit entwickeln, die Russen
am folgenden Tage bei Neidenburg durch umfassenden Angriff
abzufangen. Für einen Kampf bei Neidenburg waren daher in erster
Linie Verstärkungen anzusetzen. Das XVII. Armeekorps mußte sich, so
gut es ging, zunächst selbst helfen.
In diesem Sinne ergriff das Armee-Oberkommando sofort kräftige
Maßnahmen. Die Bereitstellung gegen die Njemen-Armee mußte zurück¬
treten. Alle verfügbaren Kräfte wurden auf Neidenburg in Marsch ge¬
setzt: die 5. Landwehr-Brigade, die man schon im Vorgehen von Soldau
auf Mlawa annahm, bekam den Befehl zum Marsch auf Neidenburg,
der Oberquartiermeister, Generalmajor Grünert, hatte die um Waplitz