Der Armeebefehl an die Westgruppe für den 27. August.
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Über die Gesamtlage meldete Generalmajor Ludendorfs der Obersten
Heeresleitung am 26. August abends am Fernsprecher und zog dabei
das Ergebnis: „Nach menschlichem Ermessen wird der Angriff erfolg¬
reich sein."
Erst nachdem der Armeebefehl um 1030 abends in die Hände des
XX. Armeekorps gelangt war, erfuhr das Armee-Oberkommando, wie die
Lage dort tatsächlich war: Daß der rechte Flügel der 41. Infanterie-
Division Ganshorn erreicht habe, war eine willkommene Nachricht, daß
aber die 3. Reserve-Division hinter der Drewenz stehen geblieben war,
entsprach durchaus nicht den Absichten des Oberkommandos. Angesichts
der schwierigen Lage an der Kampffront und des drohenden Näher¬
kommens der Njemen-Armee schwebte ihm der allgemeine Angriff als
einzige Rettung vor. Durch das Abwarten der 3. Reserve-Division schien
ihm kostbare Feit verloren, wahrscheinlich eine günstige Gelegenheit
verpaßt.
Der Kommandierende General des XX. Armeekorps, General
der Artillerie v. Scholtz, und sein Generalstabschef, Oberst Hell, sahen die
Lage anders an. Nachdem der Gegner am 26. August — wie dem General¬
kommando gemeldet war, von Osten her — Hohenstein beseht hatte und
noch weiter nördlich Kavallerie von Stabigotten über Wemitten nach
Westen vorgegangen war, hielten sie einen Angriff der 3. Reserve-Division
jetzt nicht mehr für ausführbar. Sie rechneten vielmehr damit, daß auch
das russische XIII. Korps schon nach Westen eingedreht sei, und erwarteten
so für den 27. August bei Mühlen und nördlich den Angriff von zwei
russischen Korps. Von deutschen Truppen stand bei Mühlen der äußerste
linke Flügel der 37. Infanterie-Division, nördlich davon aber standen
nur noch Festungstruppen, die an Artillerie sehr schwach waren. Hatte
der Gegner hier Erfolg, so konnten die Hauptkräfte des XX. Armeekorps,
die südlich des nach Osten lang gestreckten Mühlen-Sees angriffen, zu¬
nächst keine Hilfe bringen, waren vielmehr selbst in Flanke und Rücken
ernstlich bedroht. Es kam hinzu, daß sie durch die befohlenen Abgaben
zur Unterstützung des Angriffs auf üsdau geschwächt werden mußten.
Für einen gleichzeitigen Angriff im Norden und Süden schienen die Kräfte
nicht auszureichen. Solche Erwägungen ließen es dem Generalkommando
als richtig erscheinen, auf dem Nordflügel in der Abwehr zu bleiben, dafür
aber die Masse der Truppen mehr nach Süden zu verschieben, um südlich
des Mühlen-Sees mit starker Macht anzugreifen. Die 3. Reserve-Division
sollte dazu hinter der Drewenz bis Klein-Pötzdorf nach Süden rücken,
um die Flanke des allgemeinen Angriffs zu sichern.
Nur widerstrebend schloß sich das Armee-Oberkommando dieser Auf-