20./21. August. — Das Ziel des Rückzuges.
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Am 21. August früh hatte sich das Armee-Oberkommando von
Nordenburg nach Bartenstein begeben. Es griff allgemein eine zuver¬
sichtlichere Auffassung Platz: Der Abzug war vom Gegner nirgends gestört
worden, nur von der 1. Kavallerie-Division wußte man nichts. General
v. Scholtz ließ melden, daß er sein XX. Armeekorps in der Nacht weiter
nach Westen verschoben habe, um den auf Mlawa anrückenden Gegner an¬
zugreifen, sobald dieser den Marsch fortsetze. Bis 830 vormittags war dieser
Feind aber noch nicht wieder angetreten. Generaloberst v. Prittwitz billigte
die Absicht des Generals und unterstellte ihm nunmehr auch die Festungs¬
truppen des Generalmajors v. Unger. Die am Abend vorher erlassene
Weisung, die ihr Zurückweichen aus die Festungen ohne ernsteren Kampf
vorsah, war damit aufgehoben. Nur die zwei Danziger Bataillone
waren dem früheren Befehl entsprechend schon abgefahren. Aber auch
so blieb eine weitere Verstärkung der Truppen an der Südfront besonders
dringlich, um den Rückmarsch der Armee zu sichern und zu verhindern,
daß der Gegner sich zwischen die Weichsel und die Truppen des Generals
v. Scholtz schob. Dafür dachte man das I. Armeekorps über Dirschau in
die Gegend von Graudenz, die 3. Reserve-Division und die 6. Landwehr-
Brigade nach Deutsch-Eylau zu fahren. Mehr konnten die Bahnen nicht
leisten. Immerhin hoffte man auf diese Weise etwa bis zum 26. August
Truppen in Stärke von fast 7 Divisionen (I. Armeekorps, XX. Armee¬
korps, 3. Reserve-Division, 6. und 70. Landwehr-Brigade und Festungs¬
truppen) gegen den Westslügel der russischen Narew-Armee ver¬
einigt zu haben. Diese russische Armee Hütte bis dahin die Gegend von Oste¬
rode—Allenstein erreichen können. Aber man durste hoffen, sie mit den
neuen Kräften doch so lange aufzuhalten, bis auch die auf Fußmarsch an¬
gewiesenen deutschen Truppen (XVII. Armeekorps, I. Reservekorps, 1. Ka¬
vallerie-Division) in Sicherheit waren. Teile von ihnen hatten dabei auch
die Njemen-Armee abzuwehren. — Die Hauptreserve Königsberg mußte
ihrer Festung zurückgegeben werden; zu dieser trat ferner die 2. Land¬
wehr-Brigade. Das war das Mindeste an Kräften, was der Gouverneur
der Festung zur Abwehr brauchte, sobald er auf sich allein angewiesen war.
Am 21. August um 930 vormittags rief die Oberste Heeresleitung
aus Coblenz das Armee-Oberkommando an. Eine Verständigung war
bei der großen Entfernung damals sehr schwierig, teilweise nur durch
Umsprechen in Berlin möglich.
Im Großen Hauptquartier hatte man die Entwicklung der Dinge
im Osten mit wachsender Spannung verfolgt: Am Mittag des 20. August
hatte die 8. Armee gemeldet, sie stehe in einem vorläufig günstig verlaufen-