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Der Feldzugsplan für den Westen.
ergriff, zur Bewegung seiner Massen sich nicht zwischen dem Oberrhein
und der luxemburgischen Grenze zusammenpressen, sondern, selbst wenn er
den Schwerpunkt aus seinen rechten Flügel legte, mit dem linken Flügel
nördlich um Diedenhosen durch luxemburgisches und belgisches Gebiet
ausholen würde. Eine operative Umgehung durch die Schweiz lehnte
Graf Schliessen ab, weil dort ein kriegsbereites Heer niederzuschlagen
und die befestigten Iurapässe zu bewältigen waren, während Luxemburg
keine Armee besah und Belgien im Falle bewaffneten Widerstandes vor¬
aussichtlich seine verhältnismäßig schwache Armee in seine Festungen zu¬
rückziehen würde. Der Gedanke des Durchmarsches durch Luxemburg
und Belgien lag zum erstenmal dem Ausmarschentwurs für 1898/1899
zugrunde, der sechs Armeen in der Linie St. Vith—Trier—Saarbrücken
Saarburg—Straßburg, eine siebente gestaffelt hinter dem rechten Flügel
bei Düren—Kall und südlich vorsah.
Als dann später im Falle eines europäischen Krieges mit dem Ein¬
greifen eines englischen Expeditionskorps an der Seite des französischen
Landheeres zu rechnen war, mußte man nach den darüber vorliegenden
Nachrichten auf die Landung dieses Expeditionskorps in der belgischen
Festung Antwerpen gefaßt sein. Indessen nicht nur der neuerstandene
Feind England, mehr noch das ständige Anwachsen der Streitmassen
zu Millionenheeren und die damit verbundene Ausdehnung des Kriegs¬
schauplatzes mit allen ihren Folgen schufen im Kriegsfall einer Durch¬
führung des Operationsgedankens in der bisherigen Form immer neue
Erschwernisse und heischten neue Aushilfen. Sichere Anzeichen sprachen
dafür, daß die Franzosen die ihrem nördlichen, nicht angelehnten Auf-
marschslügel im Kriegsfall drohende Gefahr der Umfassung erkannt
hatten und entschlossen waren, die Maasstellung von Verdun bis
Mszieres zu verlängern. Der Hauptwiderstand sollte indes offenbar
erst hinter der Aisne zwischen Ste. Menehould und Rethel geleistet
werden. Griff die deutsche Umfassung noch weiter herum, so stieß sie auf
eine starke Höhenstellung, deren Stützpunkte die Festungen Reims, Laon
und La Fsre bildeten. In zielbewußter Fortentwicklung seines operativen
Gedankens gelangte Graf Schliessen dazu, die Entscheidung nicht in einem
Frontalangriff gegen diese verschiedenen Stellungen mit gleichzeitiger Um¬
fassung ihrer linken Flügel zu suchen, sondern durch einen von Nord westen
gegen die Flanken-bei Mezisres, Rethel, La Före und über die Oise in
den Rücken der Stellungen gerichteten Angriff. Ein solcher aber setzte
voraus, daß die belgisch-französische Grenze aus dem linken Maasufer mit
den befestigten Plätzen Mezieres, Hirson, Maubeuge, einigen kleineren
Sperrforts, Lille und Dünkirchen vorher gewonnen wurde.