180 Die deutsche Oberste Heeresleitung bis zum Beginn des Vormarsches.
Offizieren so schwach ausgestattet, daß sie nicht einmal die nötigen Ver¬
bindungsoffiziere zu den Armee-Oberkommandos stellen konnte; denn eine
sehr große Zahl geschulter Generalstabsoffiziere hatte für die neuaufge¬
stellten Stäbe verwandt werden müssen. Dabei hatten die Armee-Ober¬
kommandos, Höheren Kavalleriekommandeure, Kavallerie-Divisionen,
Reservekorps und Reserve-Divisionen, deren Stäbe sich im Frieden nicht
zusammen einarbeiten konnten, besonders tüchtige, ältere Generalstabs-
Offiziere erhalten müssen. Im allgemeinen hatte man sich in der Zahl der
Offiziere bei allen Stäben und auch bei der Obersten Heeresleitung selbst
größte Beschränkung auferlegt.
Die ganze Fülle der Verantwortung für die Kriegführung zu Lande
lastete aus dem Chef des Generalstabes des Feldheeres. Als solcher war an
die Spitze des gesamten Deutschen Heeres der bisherige Chef des General-
stabes der Preußischen Armee, Generaloberst v. Moltke, getreten. Bei dem
besonderen Vertrauensverhältnis, das ihn mit dem Kaiser verband, war
es ihm im Frieden häufig möglich gewesen, die Belange der Armee beim
Kriegsherrn erfolgreich und wirksam zu vertreten. Seine Verehrungs¬
würdige, von reinem Wollen und sittlichem Ernst getragene Persönlichkeit
genoß allenthalben Vertrauen, das auch seinem soldatischen Können in
weiten Kreisen nicht nur des Generalstabes, sondern auch der Truppe ent¬
gegengebracht wurde. Zweifellos besah Generaloberst v. Moltke eine durch
große Klarheit und Gedankenschärfe unterstützte, ausgesprochen operative
Begabung. Ob er aber bei seinem zart empfindenden Wesen und seinem
künstlerisch feinen Fühlen starken seelischen Spannungen auf die Dauer
gewachsen sein würde, wollte seiner näheren Umgebung schon vor dem
Kriege zweifelhaft erscheinen. Die seelischen Erschütterungen, denen der
General in den Tagen vor und während der Mobilmachung ausgesetzt
war, haben jedenfalls von Anfang an seinen Gesundheitszustand ungünstig
beeinflußt. Bei Ausbruch des Krieges stand er im 66. Lebensjahr.
Als berufener Stellvertreter des Generalstabschefs war der General-
guartiermeister gedacht. Als solcher rückte Generalleutnant v. Stein, dem
lange Jahre die den Aufmarsch bearbeitenden Abteilungen des Großen
Generalstabes unterstellt gewesen waren, ins Feld. Da die ursprünglich
vorgesehene Stellung des Generalinspekteurs des Etappen- und Eisenbahn¬
wesens kurz vor Kriegsausbruch mit der des Generalquartiermeisters ver¬
bunden worden war, sah er sich vor einer schwer zu vereinigenden Doppel¬
ausgabe, so daß er die ihm stillschweigend zugedachte Rolle als erster
Gehilfe des Generalstabschefs in der Leitung der Operationen nur
unvollkommen ausfüllen konnte und sich von ihr bei der Fülle der Ver¬
waltungsausgaben mehr und mehr zurückzog.