Volltext: Dokumentarium zur Vorgeschichte des Weltkrieges 1871-1914

Bismarck an Kaiser Wilhelm I., 31. 8. 1879 
ich in den letzten beiden Jahren mit aller Anstrengung und unter 
großer Schwierigkeit zu verhüten gesucht, daß Euere Majestät in 
die Lage kämen, zwischen Österreich und Rußland wählen zu sollen, 
weil ich wußte, wie peinlich Euerer Majestät der Entschluß dazu 
notwendig. sein muß. Wenn ich auch seit Jahren sah, daß der 
Kaiser Alexander unser einziger Freund in Rußland war, so stand 
doch zu hoffen, daß Höchstderselbe nach seinen Jahren ebenso lange 
wie Euere Majestät noch regieren werde, und daß Allerhöchst- 
denselben das Erlebnis einer Trennung von der russischen Politik 
erspart sein werde, wenn auch für spätere Zeit Deutschland auf die 
Sympathie des russischen Thronfolgers sich keine Aussicht machen 
durfte. 
Ich habe vor dem türkischen Kriege im November 1876 bei dem 
Fürsten Gortschakow den Versuch einer Sondierung gemacht, ob 
Rußland gegen wirksamere Unterstützung seiner orientalischen Poli- 
tik durch Euere Majestät bereit sein werde, einen Garantievertrag 
für Elsaß-Lothringen mit Euerer Majestät abzuschließen. Der Fürst 
Gortschakow hat diesen meinen Versuch von Hause aus zurück- 
gewiesen*. Wenn mir diese damalige Ablehnung schon bedenklich 
war, so hat der feindliche Undank, mit welchem Rußland Euerer 
Majestät freundliche und hilfreiche Neutralität während des Krieges, 
namentlich aber die wesentlichen und in der Geschichte ganz un- 
gewöhnlichen Dienste aufnahm, welche Euere Majestät Rußland 
auf dem Kongreß leisteten, mich überzeugt, daß der Kaiser Alex- 
ander mit Bewußtsein sein Ohr der Wahrheit verschließt, und daß 
die öffentliche Verhetzung der russischen. Stimmung gegen Deutsch- 
land mit dem Wissen Seiner Majestät erfolgte. 
Nach den Erscheinungen der letzten Wochen aber halte ich es 
nicht mehr für möglich, eine Sicherstellung unserer Zukunft auf- 
zuschieben. Ich würde auf eine einmalige Aufwallung noch nicht 
das Gewicht legen; eine solche ist auch bei dem Kaiser Alexander [. 
gelegentlich vorgekommen, und das Bündnis doch im ganzen zu- 
verlässig geblieben, wenn .auch vorwiegend im russischen Interesse 
gehandhabt. Heute aber liegt die Tatsache vor, daß der Kaiser Alex- 
ander schon seit zwei Jahren, teils selbst, teils durch den Fürsten 
Gortschakow Forderungen an Euere Majestät hat stellen lassen, die 
unabhängige Mächte sonst einander nicht zumuten, und in einer 
Tonart, wie sie zwischen solchen nicht üblich ist. Herr von Bülow 
wird Euerer Majestät aus unseren Archiven die Beweise dafür liefern 
können. Seit mehr. als einem Jahre hat Seine Majestät sich en parti 
pris jeder wahren und gerechten Darlegung der Dienste. verschlos- 
sen, welche Rußland. vor und auf dem Kongreß durch Deutschland 
erwiesen sind. Vielmehr durfte seit dem Kongreß die offiziöse, Ja 
sogar die amtliche russische Presse („Correspondance russe‘‘, 
* Vgl. Gr, Pol., Bd. II, Nr. 252 nebst Fußnote **. 
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