Volltext: Dokumentarium zur Vorgeschichte des Weltkrieges 1871-1914

Kaiser Nikolaus II. an Kaiser Wilhelm II., 23. 11. 1905 
Dinge da drüben nicht mit Ruhe, nicht mit derselben Weitherzigkeit 
ansieht wie seine Regierung und die Frankreichs. ' 
Ich glaube, es würde nicht ganz der geeignete Augenblick dafür 
sein, daß irgendwo in Europa oder nahe dabei Verwicklungen* ent- 
stünden. Verzeih’ mir, aber ich halte es für meine Pflicht, Dich, wie 
ein treuer Freund es tun sollte, zu warnen. Vielleicht befiehlst Du 
Tattenbach, ruhig Blut zu bewahren. 
England versucht mit Macht, uns zu einer Verständigung in 
asiatischen Grenzfragen herumzukriegen, und das unmittelbar nach 
der Erneuerung des englisch-japanischen Bündnisses! 
Ich® habe nicht die geringste Neigung, Verhandlungen mit Eng- 
land zu eröffnen, und so wird die Sache von selbst im Sande ver- 
laufen. 
Die Wandlungen unserer inneren Angelegenheiten sind Dir hin- 
länglich bekannt. Ich danke Dir nochmals für die Sendung von 
vieren Deiner Torpedoboote mit Postsachen von Memel, es war von 
sehr großem Nutzen. — 1 
Jetzt arbeiten die Eisenbahnen. wieder, und die Streiks sind vor- 
über, für wie lange aber? 
Es ist ein demütigendes Gefühl, nicht imstande zu sein, diese 
Streiks zum Stillstand zu bringen, die ein Fluch und eine wahre 
Gefahr für das ganze Land sind. Nahezu 3/, des Heeres und alle 
Eisenbahntruppen sind in der Mandschurei, daher ist es schwierig, 
in diesem Augenblick gegen die Bewegung anzukämpfen. Ich ver- 
lasse mich fest auf Witte, aber, merkwürdig genug, seine Tatkraft 
ist nicht die, die ich erwartet hatte. Allerdings ist eine große Anzahl 
von Russen weit davon entfernt, zu seinen Bewunderern zu gehören, 
und doch stimmen alle darin überein, daß keiner außer ihm da 
ist, um an seiner Stelle zu stehen. 
Ich muß Witte oft anspornen, wenn er über diese oder jene 
Maßregel zu entscheiden hat. 
Dieser Brief ist zu lang für mich geworden, um bei diesem 
Gegenstande zu verweilen. Ich werde ihn im nächsten wieder auf- 
nehmen. Alix und ich senden Dir unsere besten Grüße. 
Ich bin, liebster Willy, stets Dein Dich liebender und ganz er- 
gebener Vetter und Freund und Bundesgenosse. 
Nicky 
Randbemerkungen Kaiser Wilhelms I1.: 
1 Ist schon längst da! „Entente cordiale‘“ ist ja nichts anderes! 
2? d. h. überhaupt nicht zu erfüllen! 
3 ja, sehr! 
‘4 Stambul? Mazedonien? Flottendemonstration ? 
5 11 
$ Lamsdorff hat schon? 
333
	        
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