Volltext: Dokumentarium zur Vorgeschichte des Weltkrieges 1871-1914

Kaiser Wilhelm I. an Bismarck, 10. 9. 1879 
sondern abschließen sollten, — so kann ich zu diesem Projekt in 
dieser Ausdehnung die Hand nicht bieten. . 
Bei den Aufklärungen, die der Kaiser Alexander seinem Briefe 
an mich gegeben hat, und den ich von Haus nicht als eine Drohung 
ansah, sondern für einen Wunsch, durch Preßeinschränkung das be- 
stehende gute Verhältnis zwischen unsern Staaten erhalten zu sehen — 
so konnte ich mich nur freuen, in Ihrer miteingesendeten Antwort 
an den Kaiser die milde Seite in der Schreibart vorwalten zu sehen, 
mit hinreichend zu verstehenden und verstandenen Drückern und 
Wahrheiten! Die Worte: une entente s&culaire; le legs de nos peres 
de glorieuse m&moire — waren mir aus der Seele geschrieben und 
sind dem Kaiser so zu Herzen gegangen, daß er sie mir zweimal 
wiederholt hat! Ich konnte mir daher Ihre, mit jedem Memoire sich 
steigernde feindliche Richtung gegen Rußland nicht erklären und 
jenen zitierten Worten die Auslegung geben zu sehen, daß sie nur 
eine Phrase sein sollten! Ebenso schwer berührten mich die Worte, 
daß wir in unserem Verfahren scheinbar eine freundschaftliche 
Sprache gegen Rußland führen wollten, während wir eine Koalition 
gegen dasselbe mit Österreich, England und vielleicht mit Frankreich 
abschlössen! Und ein solcher Abschluß schwebte Ihnen bereits so 
entschieden vor, daß Sie dem Grafen Andrässy Ihr ganzes Projekt 
nicht nur vortrugen, sondern auch gestatteten, seinem Kaiser von 
demselben zu sprechen, der auch sofort auf dasselbe eingeht. Dem- 
nach fordern Sie mich auf, bei Ihrer Durchreise durch Wien, Ihnen 
die Weisung zugehen zu lassen, daselbst ein Defensivbündnis mit 
Österreich gegen Rußland abzuschließen, woraus die größere Koali- 
tion folgen werde! 
Setzen Sie sich einen Augenblick an meine Stelle. Ich stehe vor 
meinem persönlichen Freund, nächsten Verwandten, Bundesgenossen 
in guten und bösen Zeiten, um uns über übereilte und sogar miß- 
verstandene Stellen eines Briefes aufzuklären, was zu einem erfreu- 
lichen Resultat führt — und nun soll ich gleichzeitig eine feindliche 
Koalition gegen diesen Souverän schließen, also hinter seinem Rücken 
anders handeln, als ich sprach? 
Die Gefahren, welche Sie in Ihren Memoiren auseinandersetzen, 
will ich nicht unbedingt verneinen, daß sie dereinst eintreten könn- 
ten, namentlich bei einem Thronwechsel in Petersburg. Eine nahe 
Gefahr kann ich aber durchaus nicht einsehen. 
Wie oft haben Sie mich gewarnt vor Verträgen mit anderen 
Mächten, die die Hände binden, wenn kein bestimmtes Objekt zu 
denselben vorliegt, sondern nur Konjekturen einer unbestimmten 
Zukunft dazu benutzt würden. Der nach Olmütz abgeschlossene Ver- 
trag auf drei Jahre mit Österreich brannte meinem Bruder und vor 
allem Minister Manteuffel in den Händen so, daß sie die drei Jahre 
mit Sehnsucht ablaufen sahen. Ganz ein ähnlicher Fall liegt jetzt vor. 
11, 
=
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.