Kaiser Wilhelm I. an Bismarck, 10. 9. 1879
sondern abschließen sollten, — so kann ich zu diesem Projekt in
dieser Ausdehnung die Hand nicht bieten. .
Bei den Aufklärungen, die der Kaiser Alexander seinem Briefe
an mich gegeben hat, und den ich von Haus nicht als eine Drohung
ansah, sondern für einen Wunsch, durch Preßeinschränkung das be-
stehende gute Verhältnis zwischen unsern Staaten erhalten zu sehen —
so konnte ich mich nur freuen, in Ihrer miteingesendeten Antwort
an den Kaiser die milde Seite in der Schreibart vorwalten zu sehen,
mit hinreichend zu verstehenden und verstandenen Drückern und
Wahrheiten! Die Worte: une entente s&culaire; le legs de nos peres
de glorieuse m&moire — waren mir aus der Seele geschrieben und
sind dem Kaiser so zu Herzen gegangen, daß er sie mir zweimal
wiederholt hat! Ich konnte mir daher Ihre, mit jedem Memoire sich
steigernde feindliche Richtung gegen Rußland nicht erklären und
jenen zitierten Worten die Auslegung geben zu sehen, daß sie nur
eine Phrase sein sollten! Ebenso schwer berührten mich die Worte,
daß wir in unserem Verfahren scheinbar eine freundschaftliche
Sprache gegen Rußland führen wollten, während wir eine Koalition
gegen dasselbe mit Österreich, England und vielleicht mit Frankreich
abschlössen! Und ein solcher Abschluß schwebte Ihnen bereits so
entschieden vor, daß Sie dem Grafen Andrässy Ihr ganzes Projekt
nicht nur vortrugen, sondern auch gestatteten, seinem Kaiser von
demselben zu sprechen, der auch sofort auf dasselbe eingeht. Dem-
nach fordern Sie mich auf, bei Ihrer Durchreise durch Wien, Ihnen
die Weisung zugehen zu lassen, daselbst ein Defensivbündnis mit
Österreich gegen Rußland abzuschließen, woraus die größere Koali-
tion folgen werde!
Setzen Sie sich einen Augenblick an meine Stelle. Ich stehe vor
meinem persönlichen Freund, nächsten Verwandten, Bundesgenossen
in guten und bösen Zeiten, um uns über übereilte und sogar miß-
verstandene Stellen eines Briefes aufzuklären, was zu einem erfreu-
lichen Resultat führt — und nun soll ich gleichzeitig eine feindliche
Koalition gegen diesen Souverän schließen, also hinter seinem Rücken
anders handeln, als ich sprach?
Die Gefahren, welche Sie in Ihren Memoiren auseinandersetzen,
will ich nicht unbedingt verneinen, daß sie dereinst eintreten könn-
ten, namentlich bei einem Thronwechsel in Petersburg. Eine nahe
Gefahr kann ich aber durchaus nicht einsehen.
Wie oft haben Sie mich gewarnt vor Verträgen mit anderen
Mächten, die die Hände binden, wenn kein bestimmtes Objekt zu
denselben vorliegt, sondern nur Konjekturen einer unbestimmten
Zukunft dazu benutzt würden. Der nach Olmütz abgeschlossene Ver-
trag auf drei Jahre mit Österreich brannte meinem Bruder und vor
allem Minister Manteuffel in den Händen so, daß sie die drei Jahre
mit Sehnsucht ablaufen sahen. Ganz ein ähnlicher Fall liegt jetzt vor.
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