AUS DEM VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE
IS in den Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts war ein
Bücherfreund, der ohne umfassendeTypenkenntnis den Ursprung einer
Inkunabel ohne Druckangabe zu bestimmen hatte, in übler Lage. Er be
gann damit, daß er seinen Druck in Hains Repertorium bibliographicum
aufsuchte und konnte im günstigsten Falle, nämlich wenn Hain den
Druck gesehen hat, feststellen, daß dieser kenntnisreiche Forscher das fragliche Buch als
das Erzeugnis einer, sagen wir, Straßburger Presse bestimmt hatte. Wollte er sich weiter
über dies Ergebnis vergewissern und suchte dasselbe Buch in einem neueren, vertrauens
würdigen Katalog einer größeren Sammlung, ich denke an Holtrops Catalogus... bib-
liothecae Regiae Haganae, so konnte es kommen, daß er hier eine ganz andere Antwort
über die Herkunft seines Druckes erhielt. Es blieb ihm jetzt nichts weiter übrig, als den
Versuch zu machen, die Type des zu bestimmenden Druckes in einem, wenn möglich,
mit dem Namen des Druckers versehenen Buche aufzufinden. Dazu brauchte man
aber entweder eine größere nach typographischen Gesichtspunkten wohlgeordnete
Sammlung von Originalen oder aber umfangreiche Sammlungen von Nachbildungen.
Solche*) besaßen wir wohl für die Niederlande in dem annähernd vollständigenWerke
von Holtrops „Monuments typographiques des Pays Bas au XV siede“ (1857-1868)
und seit 1890 für Frankreich in Thierry-Poux’ „Premiers monuments de rimpriinerie
en France au XV siede“, aber nicht für Deutschland, wenigstens nicht in dem für
Druckbestimmungen unbedingt erforderlichen Umfange. Die allerdings für ganz andere
Zwecke bestimmten von Lippmann herausgegebenen Druckschriften enthalten nur
etwa 42 Typen aus 19 Pressen deutscher Drucker des XV. Jahrhunderts, also kaum
den zwanzigsten Teil der zur Zeit bekannten Gesamtzahl. Es war also unzweifelhaft
ein verdienstliches Unternehmen, als der Bibliothekar des Buchhändler-Börsenvereins,
Konrad Burger, im Jahre 1892 den Plan faßte, diese Lücke in der deutschen Literatur
zur Inkunabelkunde durch die Monumenta Germaniae et Italiae typographica aus
zufüllen. Er wollte nicht nur jede von einem Drucker des XV. Jahrhunderts in
Deutschland gebrauchte Type in einer Druckprobe zur Anschauung bringen, sondern
auch die in Italien tätigen Drucker nicht unberücksichtigt lassen. Leider fehlte ihm
die Übersicht über den Umfang des in Betracht kommenden Typenmaterials, und
schon im Jahre i8g4 wurde ihm von sachkundiger Seite vorgerechnet, daß statt der
von ihm in Aussicht genommenen 300 Tafeln mindestens die doppelte Zahl, und zwar
allein für Deutschland, nötig sein würde. Eine sichere Grundlage zur Zählung der von
*) Vgl. Konrad Haeblers Vortrag „Zur Typenkunde des XV. Jahrhunderts“ in der Zeitschrift für
Bücherfreunde 1909/10, S. 136 fr.