Volltext: Tagebücher, Biographie und Briefwechsel des oberösterreichischen Bauernphilosophen. Erster Theil: Konrad Deubler's Lebens- und Entwicklungsgang. (1)

„Wenn es sein muß — nun ja, dann mag's genug sein“. 271 
Chemismus des „lebenden“ Körpers machen sich meist Erschei— 
unngen geltend, die bei weiterem Fungiren des Nervensystems vom 
Individuum als „Schmerz“ empfunden werden. Die Nerven 
allein sind die Tyrannen des selbstbewußten Menschen. Sie 
können wahnsinnig machen, den Intellekt ins Gegentheil, den 
Unglauben in krassen Aberglauben, Vernunft in Unvernunft ver— 
wandeln, bis auch ihre Substanz, die „organische“, sich in „un— 
organische“ zu verwandeln beginnt. Der Anblick solcher Art von 
Zerfall ist das Peinlichste, was überhaupt je an Peinlichem zu 
beobachten ist. Diesen Anblick an sich selbst zu erleben, das 
allein' hat Deubler von jeher gefürchtet. 
Wohl sah er den langsamen Zerfall seines Leibes; aber 
große Schmerzen blieben ihm erspart. Er fürchtete den Tod 
nicht, sondern nur jene nicht selten eintretenden Begleit-Erschei— 
nungen revoltirender Nerven, die schließlich aus dem Leib einen 
immer noch athmenden Leichnam machen, in welchem das Bewußt— 
sein entweder nur noch die Rolle eines wesenlosen Schattens 
spielt oder eines Zerrbildes von dem, was es einst war. 
Er sieht dem Tod, als dem Schlußpunkt seiner Lebenszeile, 
ohne Furcht entgegen. Er fürchtet nicht Grab und nicht Hölle. 
Er trägt auch kein Verlangen nach dem Himmel. Wenn es sein 
muß — nun ja, „dann mag's genug sein“. — — 
Als ich Mitte September 1883 Deubler noch auf der 
Axenstraße am Vierwaldstättersee begleitete, da schien er damals, 
wie schon oben bemerkt, noch rüstig und war durchaus munter; 
dem Rütli gegenüber sang er noch Strophen aus seinen Berg— 
liedern und war voll des Lobes über jenen herrlichen Tag, an 
dem die Septembersonne auf die Scenerie des Wilhelm Tell 
herniederschien. Auf der Station Brunnen hatten wir eine Stunde 
auf den Zug zu warten. Dort erzählte er mir noch von seinen 
Erlebnissen im Gefängnis — seine Schlußsentenz lautete dahin: 
„an der Verworfenheit der Verbrecherwelt trägt die gan ze Ge— 
sellschaft Schuld “!. 
Am 24. November, zwei Tage vor seinem 69. Geburtsfest, 
schreibt er an mich: —„Du glaubst, weil ich noch so gesund und
	        
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