Volltext: Die Kriegspläne Italiens gegen Österreich-Ungarn (Ergänzungsheft 2 1931)

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Ratzenhofer 
von öst.-ung. Heimkehrern ausgestreuten Samen gesellschaftlichen Um¬ 
sturzes im Gewände neuartiger östlicher Schlagworte gierig aufnahm. 
Dabei ging die staatliche Gewalt offensichtlich zurück, nahm die 
Kriminalität in erschreckendem Maße zu. Die Nahrungs-, Rohstoff- und 
Betriebsmittelnot hatten zur staatlichen Verwaltung fast alles Lebens¬ 
wichtigen gezwungen. Beamtenschaft und autonome Behörden waren 
kaum mehr imstande, alle sich überstürzenden Anordnungen der Zen¬ 
tralen zu verstehen, immer piehr mangelte es an Kraft und Mitteln, 
ihnen Folge zu leisten. Die Not der niederen Staatsdiener häufte Über¬ 
tretungen auch bei ihnen in bedenklicherWeise. Sie fanden bald keine 
Sühne mehr. Der Wille zur Befolgung der Weisungen der Zentralen und 
zur Aufbringung des Heeresbedarfes schwand im selben Maße, als die 
Massen ihr Interesse nicht mehr mit der Erhaltung des bestehenden 
Staatsverbandes identifizierten, kurz, der Wille zu weiterem 'Widerstand 
erlahmte in bedeutenden Teilen der Heimat. 
DAS HERANREIFEN DES GROSZEN GESCHEHENS 
Einzelne Streiflichter sollen das Heranreifen der Lage erhellen, den 
Boden schildern, aus dem die an sechs Fronten kämpfenden Armeen 
Österreich-Ungarns ihre Ergänzungen an Offizier und Mann bezogen, 
wohin ihre Urlauber, Kranken und Verwundeten zur Erholung kamen, 
wo Erhaltungs- und Kampfmittel aller Art mit letzter Kraftanspannung 
erzeugt wurden, um, im ständigen Flusse nachgeschoben, der schwer 
bedrängten Fronten Kampffähigkeit zu erhalten. Die geistige Einstellung 
des Hinterlandes mußte früher oder später aber unbedingt auch zu den 
Soldaten im entlegensten Schützengraben dringen. 
Nur bei einem Rundblick auf alle Grundlagen menschlicher Wider¬ 
standskraft und menschlichen Widerstandswillens können die massen¬ 
psychologischen Voraussetzungen verstanden werden, um klar zu er¬ 
kennen, wie und warum es zu dem kam, was geschah. 
Jänner 1918: Kriegszeit und Heimatnot hatten den Sinn der Menschen aufge¬ 
rüttelt und empfänglichen Herzens horchten Millionen, deren Interessen sich sonst 
im engsten Kreis erschöpft hätten, auf diplomatische Noten und Apostel neuer Lehren. 
Der bolschewikische Friedensaufruf „An Alle" vom Ende Dezember 1917, der „Friede 
ohne Erwerbungen und Entschädigungen" und das „Selbstbestimmungsrecht der 
Völker" verhieß, nahm zusammen mit der geheimnisvollen Stimme Wilsons aus dem 
fernen, unverbrauchten, kraftstrotzenden Amerika die Bevölkerung des Donaureiches 
in ein gefährliches Kreuzfeuer. — Der Ruf aus dem Osten und die am 8. Jänner ver¬ 
kündeten 14 Punkte Wilsons warben für einen Frieden, der von den breiten Massen 
ersehnt wurde. In der „Dreikönigsdeklaration" meldeten die radikalen Tschechen die
	        
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