Deutsche Offensive aus Ostpreußen über denNarew auf Siedlec
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berechtigt. Wenn auch der Gedanke, der schwergeprüften kerndeutschen
Provins Ostpreußen zu helfen, vor allem im Großen Hauptquartier da¬
mals des öfteren ausgesprochen, und mit dieser Begründung — wie Graf
Stürgkh berichtet — sogar auf beschleunigte und tatkräftige öst.-ung.
Offensive aus Galicien gedrängt worden ist, und wenn auch der deut¬
sche Heeresbefehl vom 31. August mit den Worten begann: „Zunächst
wird es Aufgabe der 8. Armee sein, Ostpreußen von Armee Rennen¬
kampf zu säubern'4, so waren letzten Endes doch rein militärische Er¬
wägungen für den Entschluß maßgebend. Selbst als Rennenkampf am
10. September — wie es schien, ungeschlagen — abzog, hielt die deutsche
Ostführung die Narew-Operation noch nicht für ausführbar. Das wurde '
erst anders, als sie am 12. erkannte, daß tatsächlich ein entscheidender
Sieg errungen war. Ohne solchen Sieg erschien ein Vorgehen weit nach
Süden als Hasardspiel, das nicht gerechtfertigt war, solange man noch
darauf rechnete, im Westen zu vollem Siege zu kommen und sich dann
erst mit ganzer Kraft gegen Rußland zu wenden. Die deutsche Führung
sah die Gesamtaufgabe im Osten eben anders an als Conrad, der schon
vor Eintreffen der erhofften deutschen Westkräfte eine große Entschei¬
dung erstrebte. Das ergibt sich am deutlichsten daraus, daß Hindenburg-
Ludendorff die ihnen in Aussicht gestellten Korps aus dem Westen gegen
Ende August geradezu ablehnten, falls sie dort noch irgendwie nötig
seien. Den Angriffswillen aber und den Tatendrang Conrads hat man im
deutschen Heere lange unterschätzt, und dazu hat gerade sein immer
wiederholtes Drängen auf stärkere deutsche Kräfte für den Osten we¬
sentlich beigetragen. r
Moltke hat das „Binden" russischer Kräfte als die Aufgabe ange¬
sehen, die ihm Conrad gestellt und zu deren Lösung er sich verpflichtet
hatte, nicht aber die erst nach Kriegsausbruch erhobene Forderung gemein¬
samen Schlagens. Tatsächlich sind denn auch nicht nur die verlangten
19V2, sondern mehr als 30 russische Divisionen an der ostpreußischen
Front gebunden worden. Daß es vielleicht noch mehr hätten sein können,
und daß vielleicht sogar der verlangte Stoß auf Siedlec möglich gewor¬
den wäre, wenn von Haus aus 13 und nicht nur 9 Divisionen nach Ost¬
preußen gegeben wurden, kann nicht bestritten werden. Aber wie wäre
es dann im Westen gegangen?
Endgültig ist das Operationsziel Siedlec erst aus den Erwägungen
ausgeschieden, als sich Conrad nach der zweiten Schlacht bei Lemberg
entschloß, auch die Sanlinie aufzugeben und in Galizien soweit zurück-