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Der Zusammenbruch Österreich-Ungarns
tragstext fügte der Gen-eral bei, es unterliege keinem Zweifel, daß die
Entente die abgelieferten Kampfmittel gegen das Deutsche Reich ver¬
wenden würde; „ob die Bedingungen nicht so schwer sind, daß sie zur
Fortsetzung unseres Widerstandes zwingen, muß der Entscheidung des
AOK. überlassen werden". Vielleicht könnten sie den Kampf willen der
Völker der Monarchie, besonders der Südslawen, vielleicht auch der
Reichsserben gegen die Entente entfachen oder ¡auch für einen neuen
Schritt an den Präsidenten Wilson ¡ausgenützt werden.
Inzwischen hatte Gdl. Weber nachmittags den GLt. Badoglio um
Aufklärungen über einzelne Vertragspunkte ersucht, so über die Stunde
der Waffenruhe, deren Festsetzung sich die italienische Heeresleitung
noch vorbehalten hatte. Die Antwort lautete, daß die „Stunde der Ein¬
stellung der Feindseligkeiten", die Festlegung einer Demarkationslinie,
einer neutralen Zone, Maßregeln für die Verpflegung von Truppen und
der Bevölkerung „derzeit im Studium begriffen" seien1).
Vergeblich bemühte sich Gdl. Weber im italienischen Hauptquartier,
noch bevor ¡aíis Baden eine Entscheidung über die Annahme der Bedin¬
gungen eingetroffen war, eine möglichst baldige Waffenruhe zu er¬
reichen. Er verwies darauf, daß die k. u. k. Armeen bereits den Befehl
hätten, Venetien zu räumen, und die Fortsetzung des Kampfes daher
sinnlos geworden sei. GLt. Badoglio bezeichnete zwar die vorgebrachten
Gründe als vollkommen edel und unanfechtbar, bedauerte aber mit
Rücksicht auf die höheren Interessen des Krieges, von dem Standpunkt
der italienischen Heeresleitung nicht ¡abweichen zu können, und daß
eine „Einstellung der Feindseligkeiten nur nach Annahme der gestellten
Bedingungen" erfolgen könne. Als Bevollmächtigter des interalliierten
Kriegsrates von Versailles habe er nur dessen Willen zu vollstrecken und
dürfe sich in keinerlei Verhandlungen einlassen.
Am nächsten Tag, ¡am 2. November zeitlich früh, sandte Gdl. Weber
den zur Kommission gehörenden FregKpt. Prinz Liechtenstein im Kraft¬
wagen nach Trient, damit er von dort wieder einen ausführlichen Be¬
richt über die am Vortag von GLt. Badoglio erhaltenen Auskünfte an
das AOK. abgebe. Die wichtigen Aussprüche des italienischen Generals
wurden wörtlich übermittelt. Es liege offen zutage — betonte Weber —,
daß die Italiener jegliches Verhandeln ablehnen. Er schlug daher vor,
die Bedingungen nicht anzunehmen, sondern sogleich einen Gegenver¬
trag (Gegenvorschlag) vorzulegen, in dem Zumindestens solche Punkte
auszuschalten wären, die der Waffenehre der Armee widersprächen.
x) K e r c h n a w e, Zusammenbruch, 140 f. — .Ratzenhof er, Erg.-Heft 2, 38.