Volltext: Das Kriegsjahr 1918 ; 7. Das Kriegsjahr 1918 ; [Textbd.] ; (7. Das Kriegsjahr 1918 ; [Textbd.] ;)

Geplante Umformung Österreichs zum Bundesstaat 
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Am 6. Oktober schlössen sich die Vertreter der Kroaten, Serben und 
Slowenen in Agram zu einem- südslawischen Nationalrat zusammen, der 
sich das ausschließliche Recht zusprach, die Belange der in Österreich 
und in Ungarn siedelnden Stammesbrüder zu betreiben. Wenige Tage 
vorher, am 1. Oktober, war dem polnischen Regentschaftsrat in War¬ 
schau vom Ballhausplatz ein Vorschlag darüber zugegangen, wi^- sich 
Graf Bpjrián die austro-polnisch e Lösung vorstelle. Der Minister erhielt 
darauf keine Antwort mehr; wohl aber verkündete Warschau am 7. auf 
Grund eines Wilsonpunktes die Gründung eines unabhängigen Staates 
aus allen polnischen Landesteilen mit freiem Zugang zum Meere. Im 
österreichischen Parlament stimmten die Polen freudig ihren Brüdern zu. 
Kaiser Karl scheute auch vor einem außergewöhnlichen Mittel nicht 
zurück und berief am 12. Oktober Abgeordnete aller Nationen und Par¬ 
teien nach Baden zu, einer offenen Aussprache ; allein, der Gedanke, Ver¬ 
treter aller Volksstämme für ein Kabinett zu gemeinsamer, staatlicher 
Aufbauarbeit zu gewinnen, mußte nach dieser Besprechung fallen gelas¬ 
sen werden. Trotzdem war es aber nach der Meinung des Monarchen und 
seiner österreichischen Staatsmänner unerläßlich, den erregten Nationen, 
bevor sie die bisherige Ordnung gewaltsam stürzten und bevor die ent¬ 
fesselte Bewegung nicht mehr einzudämmen war, etwas Bedeutsames zu 
bieten. Auch schon im Hinblick auf die Punkte Wilsons schien es vorteil¬ 
hafter, selbst die darin umrissene Neuordnung im Staatsgebäude vorzu¬ 
nehmen und dadurch womöglich zu vermeiden, daß innere Fragen des 
Reiches an den Verhandlungstisch gezogen und dort durch Diktat der 
Feinde gelöst würden1). Der Kaiser entschloß sich, den dornigen Weg 
einer Umwandlung seines Reiches zu betreten, wobei — ohne Ungarns 
Verfassung zu ändern — Österreich ein Bundesstaat werden sollte, des¬ 
sen Völkern weitgehende Selbstbestimmungsrechte zugedacht waren. 
Rücksichten auf die innen- und außenpolitischen Vorgänge boten 
zur Überlegung und Beschlußfassung nur sehr kurze Frist. Trieb doch 
Wilson in eben diesen Tagen sein nervenspannendes Frage- und Ant¬ 
wortspiel mit der Deutschen Regierung, während Wien noch immereiner 
ersten Erwiderung aus Washington entgegensah ! Die zwischen die krieg¬ 
führenden Mächte eingebettete neutrale Schweiz, in der jeder Staat seine 
Diplomaten unterhielt, war der gegebene Boden für unverbindliche Füh- 
!) Werkmann, 283, überliefert folgende Kaiserworte: „Ich wünsche, daß 
uns nicht im Friedensvertrage aufgezwungen werde, was ich bei Zugrundelegung des 
Wilsonschen Friedensprogrammes meinen Völkern aus eigenem Antriebe gewähren 
kann und worauf sie nach diesem langen Kriege Anspruch haben."
	        
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