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Die Besetzung der Ukraine
rumänische Regierung wie die ukrainische Rada, die beide im Gegensatz
zu den Petersburger Volkskommissären standen, ließen ihre Macht den
großrussischen, zumeist bolschewikischen Truppen durch Unterbinden
der Verpflegszufuhr fühlen. Die in der Moldau und die im Bereich der
ehemaligen Südwestfront auf ukrainischem Boden stehenden Großrussen
waren von ihrer Heimat abgeschnitten. Dies führte zu ganz absonder¬
lichen Vorfällen und Ereignissen.
So erbat der Führer der russischen 49. ID. (4. Armee) in der ersten
Jänner woche die Vermittlung des k.u. k. 1. Armeekmdos., um sich beim
russischen Höchstkommandierenden Krylenko über die Rumänen zu be¬
schweren. Mit Wissen der Heeresleitung in Baden wurde die Depesche
den Russen in Brest-Litowsk zugestellt. Dem Beispiel folgte nach einer
Woche das vor der k. u. k. 7. Armee stehende Kommando der russischen
8. Armee, das auf diesem Weg Verhaltungsbefehle gegen Rumänen und
Ukrainer erbat. Inzwischen hatten die an den Grenzen der Moldau noch
stehenden Russenarmeen ernstliche Anstalten getroffen, um mit ihren
restlichen, sehr zusammengeschmolzenen Divisionen abzuziehen. Die Ru¬
mänen wollten dies nur zulassen, wenn die Russen vorher Waffen und
Vorräte lauslieferten und sich durch rumänische Truppen durch das Land
geleiten ließen. Für diesen Zweck und um an Stelle der einstigen Kampf¬
gefährten die Gebietsgrenzen zu beschirmen (Bd. VI, S.741), hatte Gen.
Presan die Hauptmacht seiner Streitkräfte — sie umfaßten jetzt 18 In¬
fanterie- und 2 Kavallerie di Visionen — von der Donau angef angen bis in
den Nordwinkel der Moldau auseinandergezogen, so daß hinter den Rus¬
sen an den wichtigsten Verkehrsknoten rumänische Truppen standen1).
Seit Mitte Jänner leerten sich die alten Russenstellungen vor den
öst.-ung. Armeen Rohr und Kritek auf weite Strecken; dafür tauchten
schwache Rumänenposten auf. Bald schallte aus dem feindlichen Hinter¬
lande, so aus dem Raum um Ocna und aus der nördlichen Moldau,
lebhafter Gefechtslärm herüber. Russische Verbände, die sich nicht ent¬
waffnen lassen wollten, versuchten sich den Rückweg gewaltsam durch
die entgegentretenden Rumänen zu bahnen. Die Volkskommissäre rich¬
teten eine befristete Forderung an die Regierung in Jassy und nahmen
deren diplomatischen Vertreter in Petersburg vorübergehend in Haft.
Die 8. Russenarmee erhielt den Auftrag, den Herausforderungen der
Rada, der Rumänen sowie des gegenrevolutionären Gen. Kaledin mit
Waffengewalt zu begegnen. Von Galaz her kamen am 22. Jänner ediche
i) K i r i t z e s e o, La Roumanie dans la guerre mondiale 1916—1919 (Paris
1934), 380 ff.