Der Kampfwert der Gegner
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Beredsamkeit des neuen Machthabers im revolutionären Rußland, des
Ministerpräsidenten und Kriegsministers Kerenski, endlich gelungen
war, die kriegsmüden Muschiks hochzureißen, war es schon Juli ge¬
worden. Mittlerweile hatten die Armeen der Westmächte, namentlich
jene Frankreichs, im April bei Arras und an der Aisne nutzlos geblutet
(S. 120ff.). Im Südwesten hatten der Mitte Mai unternommene zehnte
Ansturm der Italiener am Isonzo und ihre darauffolgenden Teilangriffe
in Tirol (Ortigara) die Lage nicht nennenswert zu ändern vermocht.
Auf dem Balkan beschränkten sich die Alliierten überhaupt auf die
Festhaltung des besetzten Raumes. Die im November 1916 zu Chantilly
geforderte Gleichzeitigkeit des Generalansturmes an allen Fronten war
somit 1917 noch weniger als im Vorjahre verwirklicht worden.
Als anfangs Juli die Russen und drei Wochen später die Rumänen
nun endlich in die Schranken traten, folgten Hieb und Gegenhieb ein¬
ander; denn die Führer der Heere der Mittelmächte hatten Angriffs¬
pläne gefaßt, für deren Ausführung vorangehende Anstürme der Russen
zum Teil sogar die Voraussetzung waren. So kam es im Sommer 1917
auf den blutgetränkten Gefilden Ostgaliziens, in der Bukowina und in
der südlichen Moldau zu wildwogenden, überraschungsreichen Kämpfen.
Zu diesen Überraschungen zählte unter anderem das wechselvolle
Verhalten des Russenheeres; seine Kampfkraft versiegte rasch nach
kurzem Aufflackern des Angriffswillens, um bei der Verteidigung der
Reichsgrenze wieder zu erstarken. Die reorganisierte und im neuzeit¬
lichen Angriff s ver fahren geschulte rumänische Armee schlug sich da¬
gegen durchwegs unerwartet gut. Das k. u. k. Heer zeigte aber neue
Sprünge in seinem Gefüge. Bei Zborów und bei Stanislau versagten
wieder einzelne Regimenter mit tschechischem, slowakischem, ruthe-
nischem und serbokroatischem Ersatz. Dies erbrachte neuerlich den
Beweis dafür, daß die Verwendung von Truppenkörpern mit überwie¬
gend slawischer Mannschaft gegen Rußland immer schwieriger wurde,
je länger der Krieg dauerte und je größer die nationalen Spannungen
im Innern des fast zur Hälfte von Slawen bewohnten Donaureiches
wurden (Bd. I, 2. Aufl., S. 44 und Bd. V, S. 15).
Bei der gegen Lemberg gerichteten Offensive des russischen Süd-
westheeres glückte der rechten Mittelarmee am 1. Juli ein Einbruch in
die Wehrstellung der k. u. k. 2. Armee, der aber durch herbeieilende
deutsche Reserven bald abgeriegelt wurde. Der Massenansturm der
dichtgeballten linken Mittelarmee bei Brzezany zerschellte jedoch an
der .festen Haltung der Verbündeten. Die künstlich aufgepeitschte