Beginn des Zermürbungskrieges im Südwesten
791
bezweifelt. So stellt Kühl vor allem nicht mit Unrecht die Frage, ob sich
die Italiener bei ihrem zögernden Vorgehen den an den Gebirgsausgängen
lauernden Streitkräften der Mittelmächte überhaupt so bald gestellt hätten,
und er meint, daß dann eingetreten wäre, was schon Falkenhayn in seinen
Denkwürdigkeiten sagte x) : „So wäre die Lauerstellung in den Gebirgs-
becken [von Laibach und Villach—Klagenfurt] wahrscheinlich darauf
hinausgekommen, daß gegen Rußland, Serbien und Italien gar nichts
Entscheidendes geschah, indem man abwartete, was die Feinde zu tun
belieben würden.46 Dazu kam noch das große Fragezeichen, ob eine
nicht unerheblich geschwächte Front gegen Rußland den gegen Italien
angesetzten Armeen auf die Dauer wirklich eine unbedingt verläßliche
Rückendeckung hätte bieten können. So lohnte es sich denn, daß der
öst.-ung. Generalstabschef schließlich dem Drängen seines reichsdeutschen
Kollegen nachgab und die vom Balkan herangebrachten Korps bis an den
Isonzo vorführen ließ.
Erst eine Woche, nachdem die k. u. k. 5. Armee ihren Aufmarsch im
Görzischen und in Friaul vollendet hatte, setzten die Italiener zum ersten
großen Angriff an. Wenn der Kräfteunterschied auch ein ganz gewaltiger
war, so konnte der Verteidiger den feindlichen Ansturm fürs erste doch
ohne äußerste Kraftanspannung abwehren, nicht zuletzt deshalb, weil
ihm der beim Angreifer herrschende Mangel an Kriegserfahrung bestens
zustatten kam. Viel schwieriger wurde es ihm von den unter der Führung
todesmutiger Offiziere mit Elan angreifenden Italienern schon in der
zweiten Isonzoschlacht gemacht. Es gab kritische Stunden, in denen der
Ausgang des Kampfes an einem Faden zu hängen schien — bis es endlich
der unvergleichlichen Tapferkeit der Truppe gelang, dem zahlenmäßig
noch immer weit überlegenen Feinde abermals Halt zu gebieten.
Als zu Anfang August die Streiter am mittleren Isonzo und in der
Karstwüste von Doberdò ermattet die Waffen senkten, da war es beiden
Heeresleitungen klar, daß dieser Kampfraum, an den sich nun die Haupt¬
kräfte gefesselt sahen, bei seiner räumlichen, ausgreifende Manöver
verbietenden Begrenztheit und bei der Eigenart des Kampfbodens eine
besondere Kriegführung erfordere.
Cadorna befreundete sich unter diesen Eindrücken immer mehr
mit der seinem Denken auch sonst angepaßten Auffassung, daß an die
Stelle des Angriffskrieges mit weitgesteckten Zielen mehr oder minder
ein mühsamer Zermürbungskrieg zu treten habe. Der Entschluß mochte
ihm umso leichter fallen, als die Zeit mindestens nicht gegen Italien
!) Falkenhayn, 80.