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Der Feldzug von Brest-Litowsk
des Belagerungskorps über Kowno der 10. Armee zuzuführen. Im Stabe
der Heeresgruppe Hindenburg war man aber von der Erkenntnis durch¬
drungen, daß jeder Tag, um den die schon lange geplante Umfassungs¬
operation über Wilna hinausgeschoben wurde, ihre Erfolgsmöglichkeiten
schmälern mußte1). Deshalb wurden schon am 19. Weisungen erlassen,
nach denen die 10. Armee mit dem linken Flügel auf Wilna einschwenken,
und die Njemenarmee die Flanke dieser Operation gegen die Düna
sichern sollte2), indes die 12. und die 8. gegen Nordosten vorzugehen
hatten. Bis zum 23. abends kam der Nordflügel der vom GO. v. Eich¬
horn befehligten 10. Armee um zwei Tagmärsche über Kowno nach
Osten hinaus, welcher Vorrückung sich auch die Armeemitte anschließen
konnte. Nur bei Augustow stand die deutsche Ostfront vor schon locker
werdendem Feinde noch in der alten Linie.
Die Einnahme von Brest-Litowsk
(24. bis 26. August)
Hiezu Beilagen 35 und 36
Die Ereignisse seit Mitte August hatten auch die russische Führung
zu entscheidenden Maßnahmen gezwungen. Die Hoffnung des Gen. Alexe-
jew, die in seinem Entschlüsse vom 10. August zum Ausdruck kam (S. 688),
in der Linie Osowiec—Ciechanowiec—Miçdzyrzecze—Wlodawa nachhaltig
Widerstand leisten zu können, hatte sich nicht erfüllt. In fortwährenden
Kämpfen heftig bedrängt, waren seine Armeen in der darauffolgenden
Woche weit hinter diese Linie auf Brest-Litowsk, hinter Briansk sowie
gegen Tykocin zurückgeschlagen worden. Zu den unverminderten Be¬
sorgnissen, die der deutsche Vorstoß in Kurland der russischen Führung
bereitete, war mit dem Falle von Kowno eine neue Gefahr aufgetaucht.
Dies veranlaßte den Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch am 17. August, die
schon seit Wochen in Aussicht genommene Teilung der Nordwestfront
in eine Nord- und eine Westfront anzuordnen. Diese Neugliederung des
Heeres hatte am 31. August in Kraft zu treten. Als Hauptaufgabe der
dem Gen. Alexejew unterstellten neuen Westfront, deren Bereich im
Norden bis zur Linie Augustów—Molodieczno zu reichen hatte, wurde
der „Schutz der aus dem vorderen Kriegsschauplatze nach Moskau füh¬
renden Wege" durch „starkes Festhalten des Abschnittes Grodno—Bielo-
stok—oberer Narew—Brest-Litowsk" bezeichnet3).
1) Ludendorf.f, Kriegserinnerungen, 129. — 2) G a 11 w i t z, 340.
3) Nesnamow, IV, 99. !