Volltext: Vom Ausklang der Schlacht bei Limanowa-Łapanów bis zur Einnahme von Brest-Litowsk 2 : Das Kriegsjahr 1915 1 [Textbd.] (2 : Das Kriegsjahr 1915 ; 1 ; [Textbd.] ;)

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Die Lage um die Jahreswende 1914/15 
denen es nicht fehlte —die aus dem Kriege 1870/71 stammenden Vor¬ 
stellungen über die Kürze und Raschheit des Verlaufes einer Kampf¬ 
handlung unablässig genährt. Nachdem die Infanterie ziemlich unabhängig 
von der Artillerie ihren „Kampf um die Feuerüberlegenheit" geführt, 
und, meist zu übergroßer Hast angetrieben, viel zu schnell Raum gewonnen 
hatte, war sie aus nächster Entfernung zum Sturm gegen den Feind ge¬ 
schritten. Von diesem hatte man nach den Lehren des Reglements ge¬ 
glaubt, annehmen zu dürfen, daß er den Nahkampf vielfach nicht erst 
abwarten, sondern die Stellung schon vorher, erschüttert durch das wohl¬ 
gezielte Feuer, geräumt haben würde. Daß es neben der infanteristischen 
Feuerüberlegenheit auch eine, sich im Ernstfall als ausschlaggebend er¬ 
weisende artilleristische gab, ist in der Friedensschulung der Infanterie 
verhältnismäßig wenig betont worden — von Begriffen wie Trommel¬ 
feuer, Feuerwalze, Feuerschirm u. dgl. schon gar nicht zu reden. 
Auch dort, wo bei den ersten Zusammenstößen mit dem Feinde eine 
solche Kampfweise Erfolg hatte, wurde dieser fast immer durch außer¬ 
ordentlich schwere Opfer an Offizieren und an Mannschaft erkauft. Bald 
aber blieb auch der Erfolg aus. Die Truppe erlebte einen Kampfverlauf, 
der sich ganz wesentlich von dem auf dem Exerzierplatz oder Manöver¬ 
feld geübten unterschied. Vor allem griff sie, wenn auch hoch in den Lüften 
platzende Schrapnells die Nähe des Feindes verrieten, gegenüber den das 
Gelände trefflich benützenden, in allen Kriegslisten wohlbewanderten Fein¬ 
den infanteristisch ins Leere1). Hatte man die Infanterie im Frieden ge¬ 
lehrt, daß sie ihr zielsicheres Gewehr etwa schon auf 1500, ja selbst auf 
2000 Schritte Entfernung gebrauchen werden müsse, so kam sie nun — 
nicht selten sogar von der feindlichen Artillerie angetrieben, ihr Feuer zu 
„unterlaufen" — auffallend weit vorwärts, ohne auch nur einen Schuß ab¬ 
gegeben zu haben. Da wuchs plötzlich in nächster Nähe aus der Leere des 
Schlachtfeldes auch ein infanteristischer Gegner mit Maschinengewehren 
empor. Häufig waren es — gegenüber der Friedensschulung gleich¬ 
falls eine Überraschung — Vortruppen des Feindes, die lediglich den 
Zweck hatten, dem Angreifer schon ein gut Stück seiner Kraft zu rauben, 
ehe er an die Hauptlinien herankam. War er nun diesen verhältnismäßig 
nahe gerückt, auf eine Entfernung meist, in der man im Frieden die 
Hauptarbeit schon als geleistet wähnte, dann erst begann der opfer¬ 
reiche, nervenerschütternde Kampf. 
Der in seinen gut angelegten Schützengräben bis an die Achseln ein¬ 
gegrabene Feind war in den meisten Fällen durchaus nicht erschüttert. 
!) Vgl. die fesselnden Schilderungen bei Pitreich, Lembergl914 (Wienl929), 131 f.
	        
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