Der Heeresbefehl vom 6. März
203
Heeresleitung spornte nun am 6. abends alle Armeen zu unablässiger
Fortführung der Karpathenschlacht an1): „Auf der ganzen Kampffront
von der Weichsel bis nach Ostgalizien darf sich in diesen entscheidenden
Tagen kein Frontteil auf rein passives Verhalten beschränken." Im be¬
sonderen wurde das 3.Armeekmdo. aufgefordert, nicht nur mit dem
rechten Flügel anzugreifen, sondern den Feind auch an den anderen
Frontabschnitten wenigstens durch Geschützfeuer und durch Vortreiben
starker Détachements zu binden.
Oberst Veith schreibt über diese Kampftage:
„Am 1. März setzt Nebel und heftiges Schneetreiben ein, alle Orientierung schwin¬
det, ganze Regimenter verirren sich, katastrophale Verluste sind die Folge. Am 6. März
ein neuerlicher Wetterumschlag: klarer Himmel, bei Tag Tauwetter, bei Nacht Kälte
bis zu —20 Grad; die Folge ist gänzliche Vereisung aller Hänge, die jeden Angriff
auch ohne feindliche Gegenwirkung zu einer touristischen Höchstleistung macht. Und
als dies glücklich bewirkt ist, bleibt auch wieder der Sonnenschein aus, der wenigstens
in den Tagesstunden die Kämpfer etwas erwärmt hatte; ein eisiger Nordweststurm
zieht die letzte Wärme aus Mark und Bein. Im ganzen Angriffsraum kein Quartier,
kein Mann kommt durch Tage und Wochen aus den Kleidern, die bei den meisten
längst hart anliegende Eispanzer bilden; der steinhart gefrorene Boden verhindert die
Angreifenden, sich im feindlichen Feuer einzugraben, die Verluste steigern sich enorm.
Die Verwundeten, deren Abschub aufs äußerste erschwert ist, gehen massenhaft elend
zugrunde; der durch die wochenlangen Kämpfe und Entbehrungen erschöpfte Mann
darf sich auch bei Nacht nicht dem Schlafe hingeben, der sofortigen Erfrierungstod
bedeuten würde
Am 10. März bricht ein Schneesturm los, wie ihn anderswo nur die Gletscher¬
region kennt. Jede Vorrückung stockt, jeder Krankenabschub wird unmöglich, ganze
Schwarmlinien deckt auf immer das weiße Tuch. Der vom Sturm blankgeschliffene
Eisboden ist vollends ungangbar, jedes Eingraben ausgeschlossen; deckungslos und
bewegungsunfähig steht die Infanterie vor den feindlichen Hindernissen, das Gros der
Artillerie noch immer drei bis vier Märsche hinter der Front 2) ! Und die Truppe hat
gehalten; trotz aller Meldungen ihrer Kommandanten, die seit Wochen die völlige Er¬
schöpfung versichern, trotz aller inneren Verhetzungen und der sie rings umgebenden
Spionage3): trotz alldem hat sie in dieser Hölle durchgehalten."
Mühsam drangen in den nächsten Tagen einzelne Angriffskeile weiter
vor. Szurmays verstärkter linker Flügel kämpfte sich nördlich von der
!) In den letzten Tagen mehrten sich die Abgänge aus der Front in erschrecken¬
der Weise. Beim XIX. Korps der 2. Armee betrugen sie bis zum 5. März 5000 Mann;
die 32. ID. war von 11.817 auf 5971 Feuergewehre zusammengeschmolzen.
2) Die fahrenden Batterien, welche keine Ausrüstung für den Gebirgstransport
besaßen, konnten nur in den Tälern und in unmittelbarer Nähe der wenigen Straßen
Verwendung finden, ein großer Teil war daher nicht vorgezogen worden.
3) Zu dieser Zeit tauchte vor der Front der 4. Armee ein von den Russen aus
tschechischen Gefangenen und Überläufern gebildetes Nachrichtendetachement auf.